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Vom anderen Ende der Welt: Roman (German Edition)

Vom anderen Ende der Welt: Roman (German Edition)

Titel: Vom anderen Ende der Welt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liv Winterberg
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und drei Katzen haben wir dabei. Unterwegs werden wir immer wieder lebende Viecher mit an Bord nehmen.«
    Mary lachte auf. »Katzen stehen auch auf dem Speiseplan?«
    »Nur in Notfällen«, er griente. »Sie sollen ja eigentlich die Ratten im Griff behalten. Aber beide sind gegrillt recht bekömmlich.«
    Mary nickte und musterte die zahllosen Fässer, Säcke und Kisten,die wohlsortiert verladen worden waren. Eine eigene kleine Welt auf engstem Raum.
    »Das ist beeindruckend, oder? Da wir weniger Waffen und Munition haben als ein herkömmliches Linienschiff, können wir für ein Jahr Proviant laden. Für hundert Mann. Tausend Pfund Schiffszwieback, gepökeltes Rind- und Schweinefleisch. Drei Tage die Woche gibt es Hafergrütze, Brot und Käse. Wir nennen sie die Feigentage. Die restlichen vier Tage der Woche gibt es Fleisch. Das gibt Kraft für die Arbeit. Na, und dann werden wir wie bei Kapitän Cook Sauerkraut gegen den Skorbut auftischen. Weißt du, wie er die Mannschaft dazu bekommen hat, dass sie es überhaupt aß?«
    Mary schüttelte den Kopf.
    »Die Matrosen wollten das Zeug nicht anrühren. Also ließ er es den Offizieren servieren. Und als die Matrosen sahen, dass die beim Kraut zulangten, da konnte es ja nicht zu ihrem Schaden gereichen, auch davon zu kosten. Ein kluger Mann war das, der Cook.«
    Er blieb stehen und wies auf mehrere Fässer: »Dort ist das Wasser. Auf dieser Seite ist des Seemanns bester Freund untergebracht: das Bier. Zwölfhundert Gallonen Bier, stell dir das vor. Und links daneben stehen sechzehnhundert Gallonen Hochprozentiges, alles feinster Fusel. Branntwein, Arrak und Rum. Der Kapitän versteht es, die Männer bei Laune zu halten.«
    Der Smutje lachte: »Das ist mein Reich. Und pass auf dich auf, es ist gefährlich, die Suppenkelle auf einem Schiff zu schwingen.«
    Mary mochte seine offene Art. Und wenn er so viel arbeitete, wie er redete, konnte es für die Mannschaft nur von Vorteil sein.
    »Was findest du daran so lustig?«, fragte er. »Ich sehe doch dein Feixen. Aber glaube es mir: Wenn’s der Meute nicht schmeckt, kann es schon vorkommen, dass sie den Smutje abstechen. Verstehen kann ich es ja. Die haben dann wahrscheinlich Hunger auf zartes Fleisch   …«
    Verwundert blickte sie Henry nach. Freundlich war er, aber sein Humor erschien ihr etwas abwegig.
     
    Gemeinsam rollten sie wenig später zwei Holzfässer aus der Vorratskammer und trugen sie hinauf an Deck. Die Sonne stand inzwischen im Zenit. Sofort umringten erste Männer die Fässer, jeder von ihnen hatte zwei Holzbecher bei sich. Doch bevor Henry mit dem Ausschenken beginnen konnte, betrat Kapitän Taylor das Achterdeck und ließ die Glocke schlagen.
    Die Matrosen teilten sich vor den Augen des Kapitäns in kleine Gruppen auf. Die Seesoldaten in ihren roten Jacken schulterten die Musketen. Ein Bild militärischer Disziplin mit blank gewienerten Messingknöpfen. Ungefähr ein Dutzend Männer, in Zweierreihen akkurat formiert. Sie schienen den Seeleuten ihre nachlässige Aufstellung vorhalten zu wollen.
    Der Kapitän erhob die Stimme: »Wir sind hier, um gemeinsam in den Pazifik aufzubrechen. Heute werde ich die sechsunddreißig Kriegsartikel verlesen.«
    Jeder Mann der Besatzung ergriff seine Kopfbedeckung, zog sie ab und presste sie vor die Brust. Mary zuckte zusammen, tat es ihnen gleich und blickte zu Boden.
    Der Kapitän räusperte sich. »Fangen wir an. Artikel 1: Der Kapitän und die Offiziere zeichnen dafür verantwortlich, dass die Lobpreisung Gottes würdig und während der gesamten Reise durchgeführt wird. Gleichermaßen wird der Tag des Herrn eingehalten und   …«
    Mary lauschte konzentriert. Hier war nicht vom Zusammentreffen mit einem gegnerischen Schiff die Rede. Vielmehr befassten sich die Artikel mit dem Verhalten der eigenen Mannschaft. Man schien in der Royal Navy davon auszugehen, dass der Seemann gemeinhin ein zuchtloser Mensch war. Und dementsprechend wurde kein Verbrechen ausgelassen: Flüche, Gotteslästerungen, Spionage, Streit, Streik, Meuterei, Raub, Diebstahl von Kleidung,Raufereien, Erpressung, Verschwendung, Unterschlagung von Proviant oder auch Brandstiftung. Selbst Mord, Sodomie und das Desertieren oder die Aufnahme von Deserteuren anderer Schiffe wurden aufgeführt.
    Als der Kapitän die Litanei beendet hatte, donnerte er los: »Und für den Fall, dass das für irgendwen zu hoch war, kann ich euch sagen, dass ich fuchsteufelswild werde, wenn einer von euch bei der Wache einschläft,

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