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Vom anderen Ende der Welt: Roman (German Edition)

Vom anderen Ende der Welt: Roman (German Edition)

Titel: Vom anderen Ende der Welt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liv Winterberg
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seinen Reisen aufgrund seines geringen Tiefgangs und großen Laderaums gute Dienste erwiesen hat. Gewissenhafthat er sich um die Ausstattung und den Ausbau des Schiffes gekümmert. Was spricht gegen ihn?«
    »Nichts. Aber es spricht auch nichts gegen Abraham Miller.«
    So verbohrt konnte man doch nicht sein, seufzte Carl innerlich auf. Hatten sie als Wissenschaftler nicht analytisch zu denken und der Logik zu folgen? Wellington war Philosoph, offensichtlich machte das einen Unterschied. »Und was, denkt Ihr, wird Sir Banks dazu sagen?«, fragte er und spürte, dass die feuchte Luft ihn frösteln ließ.
    »Was soll er dazu sagen? Als Vorsitzender der Gesellschaft kann es nur in seinem Sinne sein, wenn eine Expedition dieser Größenordnung von einem Mitglied der Royal Society geführt wird.« Wellington trat einen Schritt vor in den Regen. Er legte den Kopf auf den gerüschten Kragen seines Hemdes, und ein feistes Doppelkinn trat hervor. Kurz nickte er, dann drehte er Carl den Rücken zu und schritt aus.
    »Bitte, helft meinem Gedächtnis auf die Sprünge«, rief Carl ihm nach. »Wie viel Pfund hat König George für die Fahrt zur Verfügung gestellt?«
    Wellington verharrte, sicherlich auf der Suche nach dem Sinn der Frage, denn jedes Mitglied der Royal Society wusste, dass der König viertausend Pfund zur Verfügung gestellt und dass die Royal Navy Schiff und Mannschaft aufgeboten hatte. Er wandte sich um. »Warum fragt Ihr?«
    »Ach, wisst Ihr, es gibt einen Punkt, an dem bin ich mit Abraham Miller einer Meinung: Es gibt Bedingungen, die nicht akzeptabel sind. Sollte man sich nicht für Kapitän Taylor als Kommandanten entscheiden, werde ich es wie Abraham Miller halten: Ich werde die Reise nicht antreten.«
    Sir Wellingtons Nasenflügel bebten. Die Mitglieder der Royal Society wussten nicht nur, was der König investiert hatte, ebenso wusste jeder, dass er, Sir Carl Belham, fünftausend Pfund aus seinem Privatbesitz zu dieser Reise beisteuerte.
    »Wenn Ihr so kurz vor der Abreise absagt, wird die Fahrt nicht zustande kommen oder sich um Monate verzögern.«
    Der Regen wurde heftiger. Carl sah zum Himmel auf, der inzwischen noch dunkler zugezogen war. Zufrieden nahm er zur Kenntnis, dass ihm wärmer wurde. Angenehm warm. »Das könnte sein. Aber sicherlich findet die Royal Society noch andere Möglichkeiten der Finanzierung.«
    »Warum macht Ihr das?« Wellington umklammerte seinen Gehstock und hob ihn ein Stück an.
    »Weil Ihr Euch über die Sicherheit der Mannschaft hinwegsetzt und damit eine fünfundneunzigköpfige Besatzung gefährdet.« Dieses Mal war er es, der seinem Gegenüber den Rücken zuwandte und ausschritt, die Stufen des ehrwürdigen Somerset House hinauf. Carl gönnte sich ein Lächeln.
Entweder werde ich morgen erneut nach Plymouth reisen, um die Abfahrt abschließend vorzubereiten, oder ich werde in der Stadt bleiben und am nächsten Sonntag mit Richard Howe wieder angeln gehen.

Plymouth, 15.   Juli 1785
     
    Das Hoy Inn war schmutzig. Splitterig aufgerissene Dielen, vom Rauch geschwärzte Decken und Wände, die Tische aus rohen Brettern zusammengehauen.
    »Hier wird’s kalt, komm rein!«, brüllte eine Stimme aus dem Halbdunkel.
    Erschrocken ließ Mary die Tür zufallen und stand einen Augenblick unschlüssig herum. Dann setzte sie sich an einen der Tische und schaute den Wirt an, der zu ihr herüberkam. Eine Gänsehaut lief ihr über den Rücken. Sie musste jetzt sprechen, sich in dieser heruntergekommenen Hafenkneipe als Mann artikulieren. Was war, wenn ihre Stimmbänder versagten?
    »Willste ’nen Tee mit Schuss?«, fragte der Wirt.
    Sie nickte nur, damit er verschwand. Grobe Balken unterteilten den Raum in kleine Nischen. Mary musterte die Handvoll Gäste, die sich in die schummrigen Ecken zurückgezogen hatten. Das waren genau die verwegenen Gestalten, die sie sich auf Schiffen vorgestellt hatte. Der Vater hatte ihr die Salzbuckel, wie sich seiner Aussage nach die Seeleute gern selbst nannten, ausführlich beschrieben. Manche von ihnen, und hier hatte der Vater die Stimme zu einem Flüstern gesenkt, wurden sogar im Rausch unfreiwillig an Bord geschleppt und mussten beim Erwachen entdecken, dass sie sich längst auf hoher See befanden. Er hatte dann wieder den Kopf in die Höhe gereckt und stolz angemerkt, dass bei den Forschungsfahrtendie Kapitäne mit strengem Blick die Auswahl der gesamten Mannschaft trafen. Diesen strengen Blick kannte sie, den beherrschte selbst der Portier Ebenezer

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