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Vom anderen Ende der Welt: Roman (German Edition)

Vom anderen Ende der Welt: Roman (German Edition)

Titel: Vom anderen Ende der Welt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liv Winterberg
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ergriff das Seil: »Was war das für ein Knoten? Du bist doch kein Seemann, du bist ’n Arschloch.«
    Mary taxierte die Entfernung zum Niedergang. Es gab kein Entkommen. Zu viele aufgebrachte Männer waren im Weg.
Hören Sohnrey und Bartholomäus den Aufruhr nebenan nicht? Warum hilft mir niemand? Ich darf nicht kotzen, ich darf nicht heulen,
dachte sienoch, als sie aus den Augenwinkeln einen Schatten wahrnahm und fast zeitgleich den Faustschlag spürte. Ihr Kopf flog nach hinten und krachte an die Bordwand. Sie taumelte und schlug die Hände vor das Gesicht. Durch die Finger konnte sie erkennen, dass der Dunkelhaarige vor ihr stand. Sie hatte ihn nicht kommen sehen.
    »Sollte ich auch nur eine angeknackste Rippe haben, breche ich dir dafür zwei«, sagte er und rieb sich die Faust. Dann tastete er seinen Brustkorb ab und schob im Wechsel die Schultern vor. Plötzlich hielt er inne und stöhnte.
    Mary duckte sich tiefer und vergrub das Gesicht in ihren Armen, als endlich die erlösende Stimme erklang: »Verdammt, was ist hier los?«
    Die Matrosen wichen zur Seite, um Sohnrey Platz zu machen.
Alle schweigen, also schweig du auch. Hier haben Männer etwas untereinander ausgetragen, worüber du kein Wort verlieren darfst.
    Der Backsvorsteher riss ihre Arme beiseite und betrachtete das Auge. Dann zerrte er sie zum Niedergang. »Geh das kühlen. Und du, Edison«, sagte er zu dem Drahtigen, »beruhigst dich wieder. Hier ist jetzt Schluss für heute, die Nachtruhe hat längst begonnen!«
    Damit wandte er sich ab. Das Thema war erledigt.
    Mary kletterte die Stufen hinauf und lauschte, ob die Männer ihr folgen würden. Zitternd stieß sie die Klappe auf und ließ sich auf das Deck fallen. Als der kühlende Wind ihre Haut berührte, spürte sie den pulsierenden Schmerz und rang nach Atem. Mit den Fingerspitzen betastete sie ihr Auge, das halb zugeschwollen war.
    Erschöpft setzte sie sich an das Beiboot und rutschte immer weiter unter den Bug, um nicht von der Nachtwache entdeckt zu werden. Legte die Arme um die Beine und stützte das Kinn auf die Knie. Leise schlugen die Wellen an die Bordwände.
    Plymouth schien von der Nacht verschluckt worden zu sein.Hin und wieder trug der Wind Geräuschfetzen herüber, die ihr das tröstliche Gefühl gaben, dass die Welt noch existierte.
    Ihr Blick folgte dem Lichtstrahl des Leuchtturms, der über die Wellen tanzte und den Schaumkronen einen silbernen Streifen verlieh, der sich dann und wann aufkräuselte und im Schwarz des Wassers verschwand.
    Vielleicht würde die Nachtwache irgendwann ermüden, und vielleicht würde es ihr gelingen, das Schiff zu verlassen. Zum Hoy Inn zu laufen, um dort die Nacht zu verbringen. Wenn man am Morgen ihr Verschwinden bemerken würde, wäre sie schon längst auf dem Weg nach Hause. Sie würde Henriettes anklagendes Weinen überstehen. Für den Moment der Umarmung Williams Wärme spüren und dann das leergeräumte Haus in Augenschein nehmen. Sie würde Landon heiraten, egal, wen die Tante für sie ausgewählt hatte. Und sie würde schweigen, für immer darüber schweigen, was sie in den Tagen ihres Verschwindens erlebt hatte. Doch noch während sie der Wärme nachfühlte, die sie bei dem Gedanken an Williams Umarmung zu spüren glaubte, wusste sie, dass sie bleiben würde. Hier, an Bord der
Sailing Queen
.
***
     
    Es war kalt, und nur das Klappern seiner Zähne hielt Seth wach. Immer wieder tastete er nach dem Seil, das er sich um den Bauch geschlungen und am Mast verknotet hatte. Sicher würde kein Sturm aufkommen, doch er fürchtete einzuschlafen und aus dem Krähennest zu stürzen, hinab auf das Deck. Die Nachtwache zog dort unten ihre Kontrollrunden. Er konnte die schlurfenden Schritte hören, wagte aber nicht, hinunterzuschauen. Das Schwanken des Schiffes war auf der kleinen Plattform deutlich zu spüren und verursachte ihm Übelkeit. Er kroch ein Stück näher an den Mast und legte seine Arme um den Stamm. Er atmete denholzigen Geruch ein und meinte sogar, ein wenig klebriges Harz an seinen Fingern spüren zu können.
    Ein Pfiff ertönte.
    Hatte er richtig gehört? Lauschend setzte Seth sich auf. Wieder vernahm er einen leisen Pfiff. Er hielt die Luft an und spähte über den Rand der Plattform.
    Nat stand an Deck und winkte ihn zu sich.
    Seth löste den Knoten des Seils und rollte es um den Mast. Dann drehte er sich auf den Bauch und suchte mit den Füßen Halt in den Wanten. Langsam tastete er sich an den Tauen, die rau durch seine Hände

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