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Vom anderen Ende der Welt: Roman (German Edition)

Vom anderen Ende der Welt: Roman (German Edition)

Titel: Vom anderen Ende der Welt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liv Winterberg
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nicht. Ich muss behutsam vorgehen.
»Gehen wir davon aus, dass es so wäre – wir können mitnichten der Expedition hinterherreisen.« Aus den Augenwinkeln beobachtete Landon den alten Mann, der nun zügiger ausschritt.
    »Nein, das nicht, aber ich bin mir wirklich sicher, dass ihr Verschwinden mit der
Sailing Queen
verbunden ist. Sie lebt! Sie wird uns nicht irgendwann im Hafen treibend begegnen.« Seine Stimme hatte einen trotzigen Unterton angenommen.
    »Ich hoffe inständig, dass Ihr recht behaltet.« Aber was war,wenn sie weggelaufen war, blind in ihrem Schmerz und ohne Ziel? Was war, wenn die Antwort eine profane, aber grausame war, die sich immer wieder abspielte? Dass sie überfallen worden oder einem Frauenschänder in die Hände gefallen war? »Wie geht es Mrs.   Fincher?«, fragte Landon hastig, vergeblich darum bemüht, das Bild des Körpers mit den verdrehten Gliedern und das verzerrte Gesicht aus seinem Kopf zu verdrängen.
    Der alte Mann nickte bedächtig. »Es geht ihr den Umständen entsprechend. Es ist so still geworden, seitdem sie uns verlassen hat. Ich denke, die Stille ist es, sie macht das Leben schwer.«
    Abrupt hielt Landon inne und zwang William Middleton damit, ebenfalls stehen zu bleiben. »Bitte verschont Mrs.   Fincher. Berichtet ihr nicht von den heutigen Ereignissen. Macht ihr das Leben nicht noch schwerer. Richtet ihr bitte lediglich meinen ergebensten Gruß aus. Es gibt keine Neuigkeiten. Sie ist und bleibt verschwunden.«
    Noch immer lag die Luft dick und stinkend über dem Hafen.

Madeira, 7.   August 1785
     
    Die rechte Hand griff in das rohe Fleisch, während die linke nach dem Lorbeerzweig fasste und ein Blatt herauszupfte. Die Finger zerknickten es, und der austretende Saft wurde flink über das Fleisch gerieben. Die Frau mochte nicht älter als sechzehn oder siebzehn Jahre sein. Das dunkle Haar hatte sie in einen festen Zopf geflochten, der ihr bei der Arbeit über die Schulter fiel, wo er mit jeder Bewegung zwischen ihren Brüsten hin und her wippte. Carl nickte innerlich. Der Gastgeber hatte gut gewählt. Es war augenfällig, dass diese mauretanische Schöne das Essen zubereitete, weil den Offizieren und Gentlemen der
Sailing Queen
mehr als kulinarische Leckerbissen feilgeboten werden sollten. Er schaute sich die Männer an. Welcher von ihnen würde im Verlauf des Abends versuchen, mit ihr in eines der kühlen Zimmer zu verschwinden? Bereitwillig würde der Gastgeber jeden von ihnen gewähren lassen, denn satt, betrunken und befriedigt würden seine Kunden ihm noch mehr Wein abkaufen. Auch die Frau schien zu ahnen, dass den Gästen beim Anblick so viel prallen Fleisches das Wasser im Munde zusammenlief. Sie hielt den Blick gesenkt und stieß den langen Holzspieß in die Filets, um sie über dem Feuer zu wenden.
    Der Hof wurde von Weinranken überdacht, die sich unter den reifen Trauben durchbogen. Vor den gekalkten Wänden des Hauses lagen Holzfässer. Rittlings hockte ein dunkelhäutiger Burschedarauf, der lustlos auf den Saiten einer Braguinha herumklimperte.
    »Auf die schwarze Samtige, die süßeste Frucht Madeiras«, sagte der Gastgeber und erhob das Glas. Niemand schaute auf die Gläser, die klirrend zusammengestoßen wurden. Alle Augen richteten sich auf die Schöne, und Kyle Bennetter ergänzte den Trinkspruch: »Ja, auf den schwarzen Samt der glücklichen Inseln.«
    Carl lehnte sich zurück und nahm einen Schluck vom Wein. Dann blickte er auf die Mauer, die die Stirn des Hofes bildete. Eine Eidechse saß auf den vom Sonnenlicht beschienenen Steinen. Im Hinterland erhoben sich die Berge. An ihren Hängen konnte er großzügig angelegte Felder ausmachen, die von in Reih und Glied stehenden Weinstöcken durchzogen wurden. Arbeiter, die an ihrer Hautfarbe selbst auf die Entfernung als Afrikaner erkennbar waren, durchstreiften die schmalen Gänge zwischen den Reben.
    Auch wenn der Sklavenhandel vor Jahren auf dieser Insel abgeschafft worden war, hatte sich kaum etwas geändert. Immer noch vollzogen die gleichen Männer die gleichen Arbeiten. Gleichmäßig ernteten sie die Trauben, um sie in die Körbe zu werfen, die sie auf ihren Rücken trugen. Später würden die Früchte von ihnen gemaischt und gekeltert werden, damit die Engländer in ferner Zukunft den gereiften Rebsaft in alle Welt verschiffen konnten. Von dem Vermögen, das die Weinhändler einstrichen, frönten sie dem Müßiggang, sich selbst oft die besten Kunden
.
Carl nahm einen weiteren Schluck.

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