Vom anderen Ende der Welt: Roman (German Edition)
Bennetter hatte recht. Seit die Portugiesen den Weinhandel an die Engländer abgetreten und findige Kaufleute den Export unter sich aufgeteilt hatten, ließen sie es sich in dem milden Klima gut ergehen. Sie hatten ihr Glück gefunden.
Kapitän Taylor saß neben dem Gastgeber, der schnell trank, ohne ein Anzeichen, dass ihm der Alkohol zu Kopfe stieg. Freundlich und reserviert diskutierte Taylor mit seinem Gegenüber, welche Weinsorten an Bord verladen werden sollten. Immer wiederdrückte er die genannten Preise zu seinen Gunsten, was der Weinhändler mit lautstarken Seufzern kommentierte.
Unverhohlen musterte Carl ihn.
Du Ärmster. Wir werden dich ruinieren, aber deine Selbstlosigkeit kennt ja keine Grenzen. Ein Parasit bist du! Wie du hier schacherst und dich anbiederst, uns auch noch Zwiebeln, Fenchel und Ziegen zu besorgen. Du wirst schon deinen Profit machen, sorge dich nicht.
Er beugte sich vor und berührte Franklin Myers’ Arm. »Lass uns hernach so schnell wie möglich aufbrechen, ich möchte noch in die Nebelwälder hinauf.«
Unwillig löste Franklin den Blick von seinem Teller, auf dem der erste Fleischspieß lag. Der Schatten einer Enttäuschung huschte über sein Gesicht. »Es ist ein gutes Stück Weg in den Norden, und wir werden auf dieser Insel kaum noch relevante Entdeckungen machen können.« Franklin war ein Gourmet, und nach den vergangenen Wochen karger Schiffsspeisung lag ein Nachmittag kulinarischer Völlerei vor ihm.
Doch heute, entschied Carl, würde er ihm die Gelegenheit nehmen. Denn heute waren es seine Sinne, die ihrer Bestimmung folgen wollten, deren Befriedigung sie nachkommen würden. Den Ruf der Silberhalstaube zu vernehmen. Den Geruch feuchter Erde einzuatmen. Im Unterholz die Berührung des Farns auf der Haut zu spüren. Wilde Beeren im Mund zergehen zu lassen. Sich am Lichtspiel des Waldes sattzusehen. Er musste aufbrechen, und Franklin hatte ihn zu begleiten. »Wir bekommen einen Wagen zur Verfügung gestellt. Nach dem Essen brechen wir auf.« Seine Stimme schloss jeden Widerspruch aus.
Der Lorbeerwald. Laurisilva. Schöner kann kein Frauenname klingen.
Bei diesem Gedanken hörte Carl sein eigenes Lachen, tief und zufrieden verlief es sich im Dickicht der eng stehenden Bäume. Er legte Zeige- und Mittelfinger unter sein Handgelenk und spürte das heftige Pulsieren. Ob er zum Essen doch zu viel getrunken hatte?
Oder hatten ihm die Erlebnisse der letzten Wochen zugesetzt? Es hatte sich doch alles in seinem Sinne entwickelt. Den Machtkampf um Abraham Miller hatte er für sich entschieden, denn er hatte gewusst, welche Hebel er bedienen musste, und wie so oft war das Geld das Zünglein an der Waage gewesen. Kein schönes Mittel, sich durchzusetzen, doch seit knapp zwanzig Tagen war er auf See unter Kapitän Taylors Kommando.
Was hatte ihn derart aus dem Gleichgewicht gebracht?
Wie lange hatte er an der Seekrankheit gelitten? Vielleicht zwei, drei Tage? Hatte ihn das geschwächt? Es war unwichtig, das zu ergründen.
Er war hier.
Zufriedenheit durchspülte ihn mit schweren Wellen. Und Franklin spürte, dass er ungestört sein wollte. Dass der würzige Geruch der Lorbeerbäume sich einem Mantel gleich um ihn legte und sich für diesen Moment zwischen ihn und die Welt schob. Zu schnell würden ihn die Verpflichtungen wieder einholen. Empfänge beim Konsul und Gouverneur standen noch an sowie der Besuch bei Thomas Heberden, dem ortsansässigen Fachmann in Fragen der Naturgeschichte. Es würde keine Zeit bleiben, die Insel genauer in Augenschein zu nehmen. Er musste den Moment auskosten.
Ein Madeiraveilchen blühte zu seinen Füßen. Er beugte sich vor. Vorsichtig legte er mit den Fingern die Wurzeln frei, zog die Pflanze aus dem Boden, strich über den zarten Blütenkopf und roch daran. Dann öffnete er seine Botanisiertrommel und legte sie zu den anderen Sammlungsstücken. Das war sein Leben: jagen und sammeln. Er war Jäger und Sammler zugleich, immer auf der Suche nach neuer Beute, die er sich zu eigen machen wollte, auf dass sie ihm ihre Geheimnisse preisgab.
***
»Sie spielen um Geld, Nat.«
Eine Falte bildete sich auf der Stirn des Bruders. »Ja, ich weiß, du Schlaumeier.«
Seth schaute auf die Karten, die vor den Männern in der Runde lagen. Bild um Bild wurden sie übereinandergelegt.
Nats Augen glitzerten. Er schien zu verstehen, was vor sich ging, denn er klatschte in die Hände, als Bartholomäus den Kartenfächer vor sich auf die Planken
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