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Vom anderen Ende der Welt: Roman (German Edition)

Vom anderen Ende der Welt: Roman (German Edition)

Titel: Vom anderen Ende der Welt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liv Winterberg
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legte.
    »Warum darf Barth jetzt die Münzen nehmen?«, fragte Seth.
    »Schht, sei still.« Nat legte den Finger auf die Lippen und schaute ihn nicht einmal an.
    »Das ist verboten. Die dürfen nicht um Geld spielen.«
    Nats Ellbogen traf ihn am Oberarm. Seth schluckte.
Das werde ich dem Vater erzählen,
schwor er sich.
Dass die Männer machen, was sie wollen, sobald er nicht an Bord ist. Dass sie um Geld spielen, dass sie gotteslästerlich fluchen und dass Nat dabeisitzt. Und Vater ist so schlechter Laune, seitdem wir abgelegt haben, der wartet nur auf einen Grund, irgendwen in der Luft zu zerreißen.
Einen Moment hoffte er, dass Nat aufblicken würde. Doch nichts geschah, und Seth sprang auf.
    Um die Bank des Segelmachers saßen mehrere Matrosen. Er schlenderte hinüber, wiegte sich dabei in den Knien und setzte die Schritte in die Breite. Seitdem das Schiff Plymouth verlassen hatte, liefen die Männer federnd und breitbeinig über Bord, um das beständige Schwanken auszugleichen. In nichts wollte Seth ihnen nachstehen, vielleicht würde ja auch aus ihm einmal ein weltgereister Teufelskerl werden.
    Segelmacher-Johns Welt reichte bis zu seinen Fingerspitzen. Wahrscheinlich konnte er nicht einmal die eigenen Zehen sehen, so schlecht waren seine Augen. Doch seine Arbeiten verrichtete er wie kein Zweiter an Bord. Seth hatte ihn beobachtet, wie er Schlaufen und Ösen nähte, wie er Risse flickte und die Größe jedes Segels berechnete, wenn man ihm die Länge der Masten nannte.
    Es erschien Seth selbstverständlich, dass jemand, der so schlecht sah, gut hören konnte. Und Segelmacher-John hörte alles. Anscheinend lösten seine trüben Augen die Zunge anderer, und sie erzählten ihm, was an Bord geschah, was sie zu Hause oder auf Reisen erlebt hatten, und die, die nichts aus ihrem Leben berichten konnten, erfanden Geschichten. Der Segelmacher vergaß kein Wort. Er wusste alles, da war Seth sich sicher. Und so schienen die Geschichten wie Unkraut in seinem Kopf zu wuchern. Die Männer saßen um ihn herum und brüllten erfreut dazwischen, wenn dieses oder jenes aus ihren Erzählungen stammte. So lauschten sie allesamt und ließen sich in fremde Welten von Piraten, Seeungeheuern, Hellsehern, Zauberern und schönen Frauen entführen.
    Seth hielt kurz am Wasserfass inne. Er knüpfte seinen Becher von der Kordel, die er um seine Hüfte geschlungen hatte, damit die Hose ihm beim Laufen nicht in die Knie rutschte. Während er Wasser schöpfte, versuchte er zu verstehen, worüber die Männer an der Segelmacherbank sprachen. Wenn sie wieder über Frauen redeten, entschied er, wollte er lieber weitergehen. Segelmacher-John benutzte in seinen Geschichten oft Wörter, für die Nat und er vom Vater gewaltig eine verpasst bekommen hätten. Kurz glaubte Seth den Lappen zu schmecken, den seine Mutter bei der Verwendung schmutziger Wörter benutzt hatte, um ihnen die Münder zu waschen. Gut, dass sie nicht hören konnte, was die Männer hier auf dem Schiff einander gelegentlich zutrugen. Ekelhafte Beschreibungen, und die ließen ihn rote Ohren bekommen. Am schlimmsten war jedoch das Lachen der Männer, das noch kehliger wurde, wenn sie über springende Brüste, gespreizte Schenkel und nasse Löcher sprachen.
    Ein junger Mann in Uniform mit einem Dudelsack trat an die Segelmacherbank. Überrascht schaute Seth ihn an. Er hatte bisher nicht gewusst, dass irgendwer an Bord ein Instrument spielte.
    »Darf ich euch Lukas vorstellen, den Mann mit den wahrhaftflinken Fingern hier an Bord?«, rief Segelmacher-John in die Runde und klatschte in die Hände. »Setzt euch alle, und lauscht unserem Wunderkind.«
    Schnell lief Seth zur Bank hinüber und schob sich zwischen die Männer. Links neben ihm hockte der Zimmermann, dem zwei Schneidezähne fehlten. Noch während Seth ein wenig beiseiterutschte, erklangen die ersten Töne. Fasziniert beobachtete er die Finger, die über die Löcher der Pfeifen flogen. Lukas war wirklich einer der Seesoldaten?, fragte er sich erstaunt. Immer saßen sie ein Stück abseits und hielten sich für etwas Besseres. Doch der, der schien anders zu sein. Er gesellte sich zu ihnen und machte Musik. Laute und traurige Lieder, die über Deck tanzten.
    Seths Blick wanderte über Johns hölzerne Arbeitsbank. An den Längsseiten waren Schlaufen mit Nägeln angeschlagen, in denen verschiedene Hämmer, Garnrollen und Beitel verstaut waren. Das Horn einer Kuh hing neben den Werkzeugschlaufen, in ihm steckten Nadeln, dicke, lange

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