Vom Ende einer Geschichte

geschwungen wurden, schlenderten wir durch die Oxford Street, schauten uns die Schaufenster an und landeten schließlich bei den Löwen auf dem Trafalgar Square. Man hätte uns glatt für Touristen halten können.

    Anfangs wollte ich sehen, wie meine Freunde auf Veronica reagierten, aber bald interessierte mich mehr, was sie von ihnen hielt. Colins Witze brachten sie leichter zum Lachen als meine, was mich ärgerte, und sie fragte Alex, womit sein Vater sein Geld verdiene (Seetransportversicherung, antwortete er, zu meiner Überraschung). Adrian sollte offenbar als Letzter drankommen. Ich hatte ihr erzählt, dass er in Cambridge studierte, und sie nannte ihm versuchshalber verschiedene Namen. Bei einigen davon nickte er und sagte: »Ja, die Sorte kenne ich.«
    Das kam mir ziemlich ruppig vor, aber Veronica war gar nicht gekränkt. Dafür redete sie so über Colleges und Professoren und Teestuben, dass ich mir ausgeschlossen vorkam.
    »Wieso kennst du dich in Cambridge so gut aus?«, fragte ich.
    »Jack studiert da.«
    »Jack?«
    »Mein Bruder – weißt du nicht mehr?«
    »Mal sehen … Das war der, der jünger war als dein Vater?«
    Ich fand das ganz gelungen, aber sie lächelte nicht mal.
    »Was studiert Jack denn?«, fragte ich, um wieder Boden wettzumachen.
    »Geisteswissenschaften«, antwortete sie. »Wie Adrian.«
    Ich weiß, was Adrian studiert, verdammt noch eins, vielen Dank auch, wollte ich sagen. Stattdessen schmollte ich eine Weile und redete mit Colin über Filme.
    Am späten Nachmittag machten wir Fotos; sie wollte »eins mit deinen Freunden« haben. Die drei stellten sich artig auf, aber sie arrangierte alle um: Adrian und Colin,die beiden größten, rechts und links von ihr, und Alex hinter Colin. Auf dem Abzug sah sie dann noch schmächtiger aus als in Wirklichkeit. Viele Jahre später, als ich dieses Foto wieder betrachtete und darauf Antworten auf meine Fragen suchte, wunderte ich mich, dass sie nie höhere Absätze getragen hatte. Ich hatte irgendwo gelesen, um sich Gehör zu verschaffen, solle man nicht lauter, sondern leiser sprechen: So bekommt man auf jeden Fall Aufmerksamkeit. Vielleicht hatte sie einen ähnlichen Trick mit der Körpergröße. Allerdings habe ich die Frage, ob sie Tricks anwendete, bis heute nicht gelöst. Als ich mit ihr ging, schien mir alles, was sie tat, vom Instinkt geleitet zu sein. Andererseits widerstrebte mir allein schon die Vorstellung, dass Frauen manipulierend sind oder sein könnten. Das sagt vielleicht mehr über mich aus als über Veronica. Und selbst wenn ich im Nachhinein zu dem Schluss käme, sie sei von Anfang an berechnend gewesen, bin ich mir nicht sicher, ob das etwas helfen würde. Womit ich meine: mir helfen würde.
    Wir begleiteten sie zum Bahnhof Charing Cross, und als sie im Zug nach Chislehurst saß, winkten wir ihr heroisch nach, als ginge ihre Reise nach Samarkand. Dann setzten wir uns in die Bar im Bahnhofshotel, tranken Bier und kamen uns sehr erwachsen vor.
    »Nettes Mädchen«, sagte Colin.
    »Sehr nett«, setzte Alex nach.
    »Das ist philosophisch evident!« Ich brüllte fast. Nun ja, ich war ein wenig übererregt. An Adrian gewandt, fragte ich: »Bietet jemand mehr als ›sehr nett‹?«
    »Hast du es wirklich nötig, dass ich dir gratuliere, Anthony?«
    »Ja, warum denn nicht, verdammt noch mal?«
    »Dann tue ich das natürlich.«

    Aber sein ganzes Verhalten wirkte wie eine Kritik an meiner Bedürftigkeit und den anderen beiden, weil sie dem noch Vorschub leisteten. Ich wurde von leichter Panik erfasst; ich wollte nicht, dass der Tag so zerfaserte. Rückblickend sehe ich allerdings, dass nicht der Tag zerfaserte, sondern unser Viererbund.
    »Bist du Bruder Jack in Cambridge mal über den Weg gelaufen?«
    »Ich bin ihm nie begegnet, nein, und ich erwarte das auch nicht. Er ist im letzten Studienjahr. Aber ich habe von ihm gehört und in einer Zeitschrift was über ihn gelesen. Und über die Leute, mit denen er verkehrt, ja.«
    Er wollte es eindeutig dabei belassen, aber so kam er mir nicht davon.
    »Und was hältst du von ihm?«
    Adrian schwieg kurz. Er trank einen Schluck Bier und sagte dann mit jäher Heftigkeit: »Ich hasse es, wie die Engländer nicht ernsthaft ernst sein können. Ich hasse es abgrundtief. «
    In anderer Stimmung hätte ich das vielleicht als Schlag gegen uns drei aufgefasst. Stattdessen fühlte ich mich klopfenden Herzens gerechtfertigt.
    Veronica und ich gingen weiter miteinander, das ganze zweite Studienjahr