Vom Ende einer Geschichte
unachtsam hantierte, dass sie ein Eigelb zerlaufen ließ. Ich war nicht geübt darin, mich mit den Müttern von Freundinnen zu unterhalten.
»Wohnen Sie schon lange hier?«, fragte ich schließlich, obwohl ich die Antwort bereits kannte.
Sie hielt inne, schenkte sich eine Tasse Tee ein, schlug ein weiteres Ei in die Pfanne, lehnte sich gegen einen Küchenschrank voller Teller und antwortete:
»Lassen Sie Veronica nicht zu viel durchgehen.«
Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte. Sollte ich über diese Einmischung in unsere Beziehung beleidigt sein oder mich bekenntnisfreudig darauf einlassen, Veronica zu »diskutieren«? Darum sagte ich etwas geziert:
»Wie meinen Sie das, Mrs Ford?«
Sie sah mich an, lächelte überhaupt nicht herablassend, schüttelte leicht den Kopf und sagte: »Wir wohnen hier seit zehn Jahren.«
Also blickte ich bei ihr letztendlich ebenso wenig durch wie bei den anderen, auch wenn sie mich immerhin zu mögen schien. Sie schob mir ein zweites Ei auf den Teller, obwohl ich nicht darum gebeten hatte und es auch gar nicht wollte. Die Reste des zerlaufenen waren noch in der Pfanne; sie kippte diese Reste lässig in den Schwingdeckeleimer und warf dann die heiße Bratpfanne in das volle Spülbecken. Beim Aufprall zischte Wasser auf, Dampf stieg hoch, und sie lachte, als hätte sie Spaß daran, diese kleine Verwüstung anzurichten.
Als Veronica und die Männer zurückkamen, rechnete ich mit weiteren Prüfungen oder gar irgendeinem Streich oder Spiel; stattdessen gab es höfliche Erkundigungen nach meinem Schlaf und Wohlergehen. Jetzt hätte ich mir eigentlich akzeptiert vorkommen sollen, doch ich hatte eher den Eindruck, als seien sie meiner überdrüssig geworden und müssten nur das Wochenende noch irgendwie hinter sich bringen. Vielleicht war das reine Paranoia von mir. Ein Pluspunkt dagegen war, dass Veronica offener zärtlich zu mir wurde; beim Tee legte sie mir gerne die Hand auf den Arm und fummelte an meinen Haaren herum. Einmal wandte sie sich an ihren Bruder und fragte:
»Er ist ganz passabel, nicht wahr?«
Jack zwinkerte mir zu; ich zwinkerte nicht zurück. Stattdessen hatte ich halbwegs Lust, ein paar Handtücher zu klauen oder Dreck in den Teppich zu treten.
Dennoch, im Großen und Ganzen war alles beinahe normal. An diesem Abend begleitete Veronica mich nach oben und gab mir einen richtigen Gutenachtkuss. Das Sonntagsessen war ein Lammbraten, in dem riesige Rosmarinzweige steckten und der dadurch aussah wie ein Christbaum. Da meine Eltern mir gutes Benehmen beigebracht hatten, sagte ich, es schmecke köstlich. Dann ertappte ich Jack dabei, wie er seinem Vater zuzwinkerte, als wollte er sagen: So ein Schleimer. Aber Mr Ford kollerte: »Hört, hört; ich schließe mich der Meinung meines Vorredners an«, während Mrs Ford sich bei mir bedankte.
Als ich nach unten kam, um mich zu verabschieden, nahm Mr Ford meinen Koffer und fragte seine Frau: »Du hast doch die Löffel nachgezählt, Schatz?« Sie gab keine Antwort, sondern lächelte mir nur zu, als hätten wir ein Geheimnis miteinander. Bruder Jack kam nicht,um auf Wiedersehen zu sagen; Veronica und ihr Vater stiegen vorne ins Auto ein; ich saß wieder hinten. Mrs Ford lehnte an der Veranda, und der Sonnenschein fiel auf eine Glyzinie, die über ihrem Kopf am Haus hoch kletterte. Als Mr Ford den Gang einlegte und die Räder sich auf dem Kies drehten, winkte ich zum Abschied, und sie winkte zurück, aber nicht so, wie man es normalerweise macht, mit erhobener Hand, sondern mit einer Art waagerechter Geste in Hüfthöhe. Ich wünschte, ich hätte mehr mit ihr gesprochen.
Um Mr Ford davon abzuhalten, dass er mich wieder auf die Wunder von Chislehurst hinwies, sagte ich zu Veronica: »Ich mag deine Mutter.«
»Hört sich an, als hättest du Konkurrenz bekommen, Vron«, sagte Mr Ford mit theatralischem Seufzen. »Ich übrigens auch, wie es sich anhört. Pistolen im Morgengrauen, junger Herr?«
Mein Zug hatte wie üblich Verspätung durch sonntägliche Baumaßnahmen. Am frühen Abend war ich zu Hause. Ich erinnere mich, dass ich mich erst einmal genüsslich ausgeschissen habe.
Etwa eine Woche darauf kam Veronica nach London, damit ich sie meiner Clique von der Schule vorstellen konnte. Es wurde ein Tag ohne Plan und Ziel, bei dem niemand die Regie übernehmen wollte. Wir gingen ins Tate-Museum, dann zum Buckingham Palace und in den Hyde Park, wo wir die Speakers’ Corner ansteuerten. Weil da aber keine Reden
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