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Vom Ende einer Geschichte

Vom Ende einer Geschichte

Titel: Vom Ende einer Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Barnes , Pößneck GGP Media GmbH
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starker Taschenlampen unterstützt. Dann erhob sich Getuschel, Hälse wurden gereckt, und jeder Gedanke an Feuchtigkeit und Kälte war vergessen, als der Fluss es sich anscheinend einfach anders überlegte, eine fast meterhohe Welle auf uns zu kam und das Wasser sich in ganzer Breite, von einem Ufer zum anderen überschlug. Dieser wogende Schwall erreichte unseren Beobachtungsposten, flutete vorüber und verlor sich in der Ferne; einige meiner Kameraden rannten ihm nach, brüllend und fluchend und stolpernd, während die Welle ihnen davonlief; ich blieb allein am Ufer zurück. Ich glaube, ich kann gar nicht richtig beschreiben, welche Wirkung dieser Moment auf mich hatte. Es war nicht wie ein Tornado oder ein Erdbeben (nicht dass ich eins davon je erlebt hätte) – ein gewalttätiges Wüten der Natur, das uns in unsere Schranken weist. Es war verstörender, weil es friedlich und zugleich falsch aussah und auch vom Gefühl her falsch wirkte, als seiirgendwo im All ein kleiner Hebel gedrückt worden, und dann hätte sich hier für diese wenigen Minuten die Natur und damit auch die Zeit umgekehrt. Und dass man dieses Phänomen nach Einbruch der Dunkelheit sah, machte es noch geheimnisvoller, noch überirdischer.
    Nachdem wir uns getrennt hatten, schlief sie mit mir. Ja, ich weiß. Jetzt denkst du bestimmt: Der arme Tropf, wieso hat er das nicht kommen sehen? Hab ich aber nicht. Ich dachte, mit Veronica sei es aus, und ich dachte, da sei ein anderes Mädchen (eins von normaler Größe und das auf Partys hohe Absätze trug), für das ich mich interessiere. Ich habe es ganz und gar nicht kommen sehen: nicht als ich Veronica in der Kneipe über den Weg lief (sie mochte keine Kneipen), nicht als sie mich bat, sie nach Hause zu bringen, als sie auf halbem Wege stehen blieb und wir uns küssten, als wir in ihr Zimmer kamen und ich das Licht anschaltete und sie es wieder ausschaltete, als sie ihr Höschen auszog und mir eine Packung Durex Fetherlite gab, nicht einmal, als sie mir ein Kondom aus der ungeschickten Hand nahm und mir überstreifte und auch nicht im raschen Verlauf der restlichen Angelegenheit.
    Ja, das kannst du laut sagen: Der arme Tropf. Du hast wohl immer noch gedacht, sie sei Jungfrau, als sie dir ein Kondom über den Schwanz zog? Ja, auf eine merkwürdige Art und Weise dachte ich das immer noch. Ich dachte, das sei vielleicht eine der Fähigkeiten, die Frauen intuitiv beherrschten und die mir zwangsläufig fehlten. Na, vielleicht war es das ja auch.
    »Du musst es festhalten, wenn du ihn rausziehst«, flüsterte sie (dachte sie vielleicht, ich sei noch Jungfrau?). Dann stand ich auf und ging ins Bad, wobei mir das volleKondom ab und zu innen an die Schenkel schlug. Als ich es wegwarf, kam ich zu einer Entscheidung und einer Überzeugung: Nein, hieß die, nein.
    »Du egoistisches Schwein«, sagte sie, als wir uns das nächste Mal trafen.
    »Tja, hm, so ist das nun mal.«
    »Dann war das praktisch eine Vergewaltigung.«
    »Ich glaube, es war alles andere als das.«
    »Na, du hättest es mir anständigerweise vorher sagen können.«
    »Vorher wusste ich das noch nicht.«
    »Ach, war es so schlimm?«
    »Nein, es war gut. Nur …«
    »Nur was?«
    »Du wolltest immer, dass ich über unsere Beziehung nachdenke, und vielleicht hab ich das jetzt getan. Ich hab mir Gedanken gemacht.«
    »Kompliment. Das war bestimmt nicht leicht.«
    Ich dachte: Und ich hab nicht mal ihre Brüste gesehen, kein einziges Mal in der ganzen Zeit. Gefühlt ja, aber nicht gesehen. Außerdem liegt sie mit Dvořák und Tschaikowski total falsch. Und meine LP mit Ein Mann und eine Frau kann ich nun auch spielen, so oft ich will. Ganz ungeniert.
    »Entschuldigung?«
    »Mein Gott, Tony, nicht mal jetzt kannst du dich konzentrieren. Mein Bruder hatte vollkommen recht.«
    Ich wusste, jetzt sollte ich fragen, was Bruder Jack gesagt hatte, aber diese Freude wollte ich ihr nicht machen. Als ich stumm blieb, fuhr sie fort: »Und sag bloß nicht diesen Spruch.«
    Das Leben schien mehr denn je ein Rätselspiel zu sein.
    »Welchen denn?«

    »Dass wir immer noch Freunde bleiben können.«
    »Sollte ich das jetzt sagen?«
    »Du sollst sagen, was du denkst, was du fühlst, Himmelherrgott – was du meinst.«
    »Na schön. Dann sag ich es nicht – was ich jetzt sagen sollte. Weil ich nicht glaube, dass wir immer noch Freunde bleiben können.«
    »Na bravo«, sagte sie sarkastisch. »Na bravo.«
    »Aber dann will ich dich was fragen. Hast du mit mir

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