Vom Finden der Liebe und anderen Dingen (German Edition)

mit mir rumgetragen in der Hoffnung, dass er anruft, aber als er es endlich tat, wusste ich es erst gar nicht zu bedienen. Ich drückte alle Tasten, die ich finden konnte, und es klingelte einfach immer weiter, und ich wurde allmählich sauer und würgte das Telefon ein bisschen, bis der Glatzkopf neben mir merkte, was los war.
    »Möchtest du den Anruf annehmen?«
    »Es ist kaputt.«
    »Das ist nicht kaputt. Du weißt nur nicht, was du machen musst.«
    Er nahm es und fummelte eine Weile dran rum. Und dann sprach ich auch schon mit Alvin.
    »Hi, Alvin.«
    »Joe«, sagte er. »Erst mal entschuldige, dass ich dich ein halbes Jahr lang nicht angerufen habe. Ich habe die ganze Zeit gearbeitet, und mein Terminplan ist sehr anstrengend.«
    Mir fiel sofort auf, dass seine Stimme anders war. Er klang müde, traurig und weit weg. Es war, als riefe er aus einem tiefen Brunnen an.
    »Du fehlst mir, Alvin.«
    »Du mir auch«, sagte er. »Was machst du gerade?«
    »Karten spielen.«
    »Um Geld?«
    »Ja.«
    »Gut für dich, Joe. Ich hab gehofft, dass du was ganz Verantwortungsloses machst. Bist du fit für eine Reise?«
    »Was für eine?«
    »Wir würden extrem weit wegfahren. Für sehr lange Zeit.«
    »Müsste ich da arbeiten?«
    »Fast gar nicht. Und du musst mit keinem reden, wenn du nicht willst. Es wird wieder so sein wie früher, bevor ich weggegangen bin. Heute Abend erzähle ich dir alles darüber.«
    »Bist du hier?«
    »Ich glaube, ich bin in New Mexico. Ich bin fünfzehn Stunden durchgefahren. Aber heute Abend bin ich da. Wo schläfst du denn zurzeit?«
    »Bei Marcus.«
    »Verdammt.« Ich hörte, wie Alvin ins Telefon knurrte. »Sag mir, wo wir uns sonst treffen können.«
    Ich nannte ihm das McDonald’s in der Nähe von Marcus’ Wohnung. Er sagte, das werde er finden. »Acht Uhr«, sagte er.
    »Ich fasse es nicht, dass es endlich so weit ist. Du kommst zurück.«
    »Klar komme ich zurück. Hast du daran gezweifelt?«
    »Manchmal rede ich mit dir, wenn du nicht da bist«, sagte ich.
    »Tatsächlich?«
    »Ja, fast jede Woche.«
    Er hustete ins Telefon. Jetzt erinnere ich mich, dass er ganz ängstlich klang. Damals dachte ich mir nichts weiter dabei. »Heute Abend erklärst du mir diese bizarre Neuigkeit bestimmt«, sagte er. »Denk dran, nur wir beide.«
    Wir sagten Tschüs, dann stellte ich das Handy aus. Der Glatzkopf zupfte mich am Ärmel, und da merkte ich, dass der ganze Tisch mich anstarrte. Es dauerte einen Moment, bis ich wieder wusste, wo ich war. Im größten Spielsalon von ganz Los Angeles. Es gab hier wahrscheinlich an die hundert Pokertische und tausend Spieler, und keiner ging weg – außer um draußen eine zu rauchen –, nicht mal, wenn der Feueralarm losging.
    »Komm schon, du bist dran«, sagte der Glatzkopf.
    Ich betrachtete mein Blatt. Es war nichts Besonderes, aber ich war jetzt auf einem ganz glücklichen und richtig aufgeregten Tilt. Ich setzte und erhöhte und erhöhte noch mal und setzte wieder. Während ein anderer den Pot einstrich, zupfte mich der Glatzkopf wieder.
    »Ich sollte dir das eigentlich nicht sagen, weil ich schon so viel Geld von dir gewonnen habe«, sagte er. »Aber du bist der schlechteste Pokerspieler, der mir je begegnet ist. Was machst du denn hier? Kannst du nicht auch mal aussteigen?«
    »Mir gefällt’s.«
    »Nein. Du verschwendest doch deine ganze Zeit hier. Hau ab. Heirate und mach Kinder.«
    Ich wusste, dass das ein hervorragender Rat war, auch wenn ich ihn sofort wieder vergaß, aber als ich ihm danken wollte, zog er bloß ein Gesicht, als hätte er was Grässliches gegessen.
    »Der Alte stirbt während des Spiels und kriegt trotzdem mit der letzten Karte eine Straße«, sagte er angewidert. »Unglaublich. Das hätte mein Pot sein sollen. Komm schon, du bist dran.«
    Er zupfte mich am Ärmel, und wieder starrte der ganze Tisch mich an. Ich schaute auf mein grauenhaftes Blatt. Alvin hatte mir beigebracht, dass zwei Sekunden die richtige Zeit sind, um sich was zu überlegen. »Kürzer, und du lebst im Grunde bloß wie ein Tier«, sagte er. »Länger, und du verpasst was anderes.« Ich schaute auf mein grauenhaftes Blatt.
Spiel einfach damit
, dachte ich.
So schlecht ist es doch gar nicht.

    Als ich dann mein gesamtes Geld für den Tag verspielt hatte, fuhr ich mit dem Bus zu Marcus. Es war Anfang Sommer, daher wehte die ganze heiße Luft durch den Bus. Ich mochte den Geschmack der Luft in Los Angeles schon immer, obwohl alle sagten, sie sei schlecht für einen.