Vom Himmel das Helle
Scheinwelt abzutauchen wie Wasservögel in die Tiefe eines Sees, kam ein Geräusch. Friedrich hob seinen Körper vom Boden weg und präsentierte ihn frontal. Er sah ihn. Den Fremden. Wie ein Mahnmal stand er da. Einen Moment schienen die Augen zweier Männer miteinander zu ringen. Mit Blicken, ohne Gesten, ohne ein Wort. Zu einem Schrei kam es nicht. Rasch, lange gedanklich geplant, fiel ein Schuss, dann ein zweiter. Friedrich stand einen Moment wie eine Säule, gerade und starr. Dann sackte er in sich zusammen und bildete ein Bündel Mensch am Boden.
Almut sog die Luft durch die Zähne ein und spürte dabei, wie ihre Zunge noch mehr anschwoll. Vermutlich hätte sie nicht sprechen, nur lallen können. Sie ließ es bleiben, denn sie wusste, dass er sich jetzt, wo es vollbracht war, erneut ihr widmen würde. Er schien ihre Gedanken zu lesen, gehorchte ihrer Vermutung, trat über Friedrichs Leiche am Boden hinweg zu ihr hin. Er packte sie achtlos, wie man nach einem Paket griff, das man nicht bestellt hat und doch annehmen muss. Sie stöhnte und ächzte, als sei ihr Körper nicht mal mehr in der Lage, sich irgendwo hinschaffen zu lassen. Er öffnete den Schrank, riss mit wenigen Gesten den gesamten Inhalt heraus, warf die Holzböden zur Seite, dass es krachte, und zerrte sie hinein.
»Rein da!« Er stöhnte, genauso wie sie. Almut hockte da, die Beine an die Brust gezogen wie zusammengefaltet, weil die Seitenwand des Schrankes nichts anderes zuließ. Die Türen des Schrankes wurden vor ihren Augen zugeworfen und verschlossen. Der Schlüssel drehte sich im Schloss. Sie nahm das Halbdunkel wahr, wie sie zuvor alles andere wahrgenommen hatte. Dann schloss sie müde die Augen und sackte endgültig in sich zusammen.
Acht
Ich fuhr seltsam automatisiert die Straße entlang, auf dem Weg zu Frank Kastein und dachte dabei die ganze Zeit an Almut. Das ehemals bewunderte Mädchen, das nun eine Frau in den besten Jahren war, glich einem Wrack. Seit ich sie wiedergetroffen hatte, war mein Bild von ihr zerstört. Und mit dem ausgelöschten Bild schwand ein Teil unserer gemeinsamen Vergangenheit.
Eine Frau, die vom Glück verlassen worden war und nun an ein schreckliches Schicksal gekettet schien, konnte ich einfach nicht mit Almut in Verbindung bringen. Die war immer mein funkelnder Stern gewesen. Jemand, an den man sich in stillen Stunden orientierte.
In meiner Erinnerung war Almut ein Wesen, dem man nie glich, das sich jedoch perfekt zum Anhimmeln eignete. Brauchten wir nicht alle solche Menschen? Zumindest in der Jugend, wenn der Weg noch nicht festgelegt war und vieles ausprobiert wurde? Almut hatte die Milde des Schicksals verkörpert, denn ihr gelang alles und deshalb nährte sie in mir und vielen anderen die Hoffnung auf ein tolles, erfülltes Leben. Irgendwann zumindest. Doch nun war alles dahin.
Almuts Mann war erschossen worden und sie selbst misshandelt. Ihre äußere Schönheit würde wiederherstellbar sein. Doch was war mit ihrem Inneren? Wie stand es um ihre Seele? Es hatte Jahre gedauert, doch nun musste ich einsehen, dass sogar für Almut das Glück ein Trugschluss war. Nichts würde je sein wie zuvor.
Als ich an der Oper links abbog und die Gasse rechts hinein fuhr, um irgendwo einen Parkplatz zu finden, spürte ich, dass er da war. Mark. Das seltsam kribbelnde Gefühl im Bauch, das ich bereits beim ersten Mal verspürt hatte, als wir einander »begegnet« waren – die Ahnung, ich wäre nicht länger allein im Wagen –, machte mich auf ihn aufmerksam. Ich blickte in den Rückspiegel und nahm mit erleichterter Gewissheit zur Kenntnis, dass sich hinter mir nicht mal eine abgelegte Jacke, ein vergessenes Buch oder eine alte Zeitung befand und neben mir schon gar nichts. Und doch! Er war da. In meinem Wagen. Ich spürte ihn. »Mark?«, versuchte ich den Kontakt herzustellen. »Bist du hier, bei mir?« Diesmal ging ich in die Offensive und sprach ihn an.
»Ja, Lea. Ich bin da«, antwortete er, kaum dass ich geendet hatte. Alles in mir fiel zusammen, denn nun konnte ich mir nicht länger einreden, ich hätte unlängst mit mir selbst geredet. Mit meinem imaginären zweiten Ich. Ein kleiner Ausrutscher, aus verständlichen Gründen der Überlastung mochte ja noch drin sein. Doch ein erneutes, zweites Gespräch war nicht so einfach abzutun.
Ich schaltete in den zweiten Gang, dann in den ersten, bremste den Wagen und steuerte ihn auf einen Behindertenparkplatz vor einem Supermarkt. Dann drehte ich mich um und sah
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