Vom Kämpfen und vom Schreiben
schreibt er, er habe sich mit dem Termin doch tatsächlich um eine ganze Woche vertan.
Das ist aber ein komischer Typ. Da stimmt doch was nicht. Aber was?
Am 27. November frage ich noch mal wegen der Lesungen, deren Verträge er mir schon gezeigt haben wollte. Kracht schreibt: »Carla, habe gestern alles meinem Anwalt in den Briefkasten gesteckt, damit er alles auf Herz und Nieren prüfen kann, da geht es ja um zig Auftritte, da bin ich lieber vorsichtig. Wenn das so klappt, wie ich mir das vorstelle, ist das inklusive Clubtour ein Volumen von vierzig Auftritten. Sowas lasse ich lieber prüfen.«
Das klingt plausibel, ist mir aber nicht geheuer.
Dann mailt Kracht: »Der Sponsorenvertrag für die Bädertour ist fertig! Mayermann & Söhne geben uns fünfundzwanzigtausend für das kommende Jahr. Außerdem hab ich eine Lesung im Schwarzwald für dich: Am 5.5. trittst du viermal auf, die zahlen zweitausendfündhundert plus Reisekosten.«
So viel? Ist das möglich? Das wäre das Ende aller finanziellen Sorgen. Aber ich kann mich nicht freuen. Irgendwas stimmt da nicht.
Kracht teilt mir am 2. Dezember mit, dass er mit Mayermann & Söhne bei der Bank war und dass sie dort ein Sperrkonto über fünfundzwanzigtausend Euro eröffnet haben, das Geld könne ab 1. Mai zur Finanzierung der Lesereisen abgerufen werden. Zudem habe er sechs Bäder an der Ostsee so gut wie sicher: Dort soll ich in den Kurhäusern lesen, für siebenhundert Euro Lesehonorar pro Abend und die Reisekosten würden ja von Mayermann & Söhne getragen. Das ist mir ein bisschen zu dick aufgetragen. Kurverwaltungen reagieren nicht innerhalb weniger Tage mit Zusagen, ich bin in einer Kurstadt aufgewachsen. Ich glaube Kracht kein Wort. Aber warum sollte er lügen? Was hätte er davon? Er bekommt ja von mir nur im Erfolgsfall Geld. Komische Geschichte.
Im Januar stelle ich mich in einer Filiale der Mayerschen Buchhandlung in Köln vor und bewerbe mich um eine Lesung. Es klappt! Das ist für eine Autorin meines Kleinkalibers eine große Sache, und für den kleinen Verlag, der kaum in Buchhandlungen geführt wird, eine tolle Chance, finde ich. Sofort rufe ich die Verlegerin an, sie freut sich auch riesig.
Derweil nimmt die Geschichte mit Andreas Kracht immer merkwürdigere Ausmaße an. Sein Freund arbeite auf einem Luxusliner, sagt er, und da er Mitte Januar zu einem Billy-Joel-Konzert in New York sei und das Schiff just dort ankere, würde er mit dem Freund Lesungen auf dem Traumschiff für mich vereinbaren, das sei schon so gut wie gebongt.
Er erzählt von einer Freundin, die plötzlich gestorben ist und um deren Kinder er sich kümmert, ist dann aber in der Uniklinik wegen Herzproblemen, jettet durch Europa, ist morgens in Budapest und abends in London, immer im Stress, immer mit Prominenten unterwegs. Ende Januar meldet er sich aus der Köln-Arena, aus dem Geißbockheim, aus dem Hyatt – dabei müsste er eigentlich in New York sein.
Die Termine haben sich verschoben, sagt er, als ich nachfrage. Ich finde kein Konzert mit Billy Joel in New York, und ich kann gut recherchieren. Anfang Februar ist er dann angeblich in den USA, postet Fotos von Lokalen, Mittagessen und Hotelzimmern in New York. Er schreibt: »... obwohl Billy Joel augenscheinlich sehr krank ist ... wenn er am Klavier sitzt, dann ist er wie früher. Es wird mir ein unvergessliches Erlebnis bleiben ...««
Es gibt kein Konzert mit Billy Joel, ich finde keins, auf der ganzen Welt nicht. Kracht erklärt auf mein Nachfragen, das sei eine private Show gewesen. Mir reicht’s. Das war zu viel. Ich verstehe nur das Motiv für seine Lügerei nicht. Ich verlange, mir den Sponsoringvertrag von Mayermann & Söhne zu zeigen. Er schickt mir die Kopie eines kompletten Vertrags mit dem Briefkopf von Mayermann & Söhne, mit Kontonummer, Verschwiegenheitsklausel, einer Vereinbarung über Produktplatzierungen während der Lesungen und mit einer Unterschrift. Scheinbar hat doch alles seine Ordnung? Bin ich zu misstrauisch?
Kracht nennt mir Termine für die Bädertour, beginnend in Travemünde. Das ist nicht weit von Hamburg, mein Sohn ist ja dort, wir haben uns seit Hardys Beerdigung nicht gesehen. Habe ich zwischen den Lesungen Zeit, ihn zu treffen? Kracht sagt: »Klar, lad ihn ein! Das zahlen wir aus dem Sponsoring, Carla! Ist doch genug Geld da, sag deinem Sohn Bescheid, dass er übers Wochenende kommen soll, ich buche dir dann ein Zimmer für ihn.« Ich werde meinen Sohn sehen können? Jetzt will
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