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Vom Kriege

Vom Kriege

Titel: Vom Kriege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl von Clausewitz
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haben wir früher schon näher betrachtet.
    Indem wir nun den Blick noch einmal auf das Ganze richten, muß die Bemerkung entstehen, daß bei einem so schwachen Prinzip des Angriffs, bei so geringem Verlangen nach einer Entscheidung von beiden Seiten, bei so schwachen positiven Anregungen, bei so vielen innern Gegengewichten, welche auf- und zurückhalten, wie wir es uns hier denken, - daß da der wesentliche Unterschied zwischen Angriff und Verteidigung immer mehr verschwinden muß. Bei Eröffnung des Feldzugs wird freilich der eine in das Kriegstheater des andern vorrücken und dadurch gewissermaßen die Form des Angriffs annehmen; allein es kann sehr wohl sein und geschieht sehr häufig, daß er bald genug alle seine Kräfte darauf verwendet, auf dem feindlichen Boden das eigene Land zu verteidigen. So stehen denn beide einander gegenüber, im Grunde in gegenseitiger Beobachtung; beide bedacht, nichts zu verlieren, vielleicht auch beide in gleichem Maße bedacht, sich einen positiven Gewinn zu verschaffen. Ja, es kann geschehen, wie bei Friedrich dem Großen, daß der eigentliche Verteidiger darin seinen Gegner sogar überbietet.
    Je mehr nun der Angreifende von der Stellung eines Vorschreitenden aufgibt, je weniger der Verteidiger durch ihn bedroht, durch das dringende Bedürfnis der Sicherheit an die strikte Verteidigung hingedrängt wird, um so mehr tritt eine Gleichheit der Verhältnisse ein, bei welcher dann die Tätigkeit beider darauf gerichtet sein wird, dem Gegner einen Vorteil abzugewinnen und sich gegen jeden Nachteil zu schützen, also auf ein wahres strategisches Manövrieren, und diesen Charakter haben denn auch offenbar alle die Feldzüge mehr oder weniger, wo die Verhältnisse oder die politischen Absichten keine große Entscheidung zulassen.
    Wir haben dem strategischen Manövrieren im folgenden Buche ein eigenes Kapitel gewidmet, allein wir sehen uns genötigt, weil dies gleichgewichtige Spiel der Kräfte in der Theorie häufig eine falsche Wichtigkeit bekommen hat, hier bei der Verteidigung, wo sie ihm vorzugsweise beigelegt wird, in eine nähere Erörterung deshalb einzugehen.
    Wir nennen es ein gleichgewichtiges Spiel der Kräfte. Wo keine Bewegung des Ganzen ist, da ist Gleichgewicht; wo kein großer Zweck treibt, [514] da ist keine Bewegung des Ganzen; es sind also in solchem Fall beide Teile, wie ungleich sie auch immer sein mögen, doch als im Gleichgewicht zu betrachten. Aus diesem Gleichgewicht des Ganzen treten nun die einzelnen Motive zu kleinern Handlungen und geringern Zwecken hervor. Sie können sich hier entwickeln, weil sie nicht mehr unter dem Druck einer großen Entscheidung und einer großen Gefahr stehen. Es wird also, was überhaupt gewonnen und verloren werden kann, in kleinere Spielmarken umgesetzt, und die ganze Tätigkeit in kleinere Handlungen zerlegt. Mit diesen kleinern Handlungen um diese geringern Preise entsteht nun zwischen beiden Feldherren ein Kampf der Geschicklichkeit; aber da dem Zufall und folglich dem Glück im Kriege der Zutritt niemals ganz versagt werden kann, so wird dieser Kampf auch niemals aufhören, ein Spiel zu sein. Indessen entstehen hier zwei andere Fragen, nämlich: ob bei diesem Manövrieren der Zufall nicht einen kleinern und der überlegende Verstand einen größern Anteil an der Entscheidung haben wird, als da, wo alles in einen einzigen großen Akt zusammengedrängt ist. Die letzte dieser Fragen müssen wir bejahen. Je vielgliedriger das Ganze wird, je öfter Zeit und Raum, jene mit einzelnen Momenten, dieser mit einzelnen Punkten, in die Betrachtung kommen, um so größer wird offenbar das Feld das Kalküls, also die Herrschaft des überlegenden Verstandes; was der überlegende Verstand gewinnt, wird dem Zufall zum Teil entzogen, aber nicht notwendig ganz, und darum sind wir nicht genötigt, die erste Frage auch mit Ja zu beantworten. Wir müssen nämlich nicht vergessen, daß der überlegende Verstand nicht die einzige intellektuelle Kraft des Feldherrn ist. Mut, Kraft, Entschlossenheit, Besonnenheit usw. sind die Eigenschaften, die wieder da mehr gelten werden, wo es auf eine einzige große Entscheidung ankommt; sie werden also in einem gleichgewichtigen Spiel der Kräfte etwas weniger gelten, und die vorherrschende Wichtigkeit kluger Berechnung wächst nicht bloß auf Kosten des Zufalls, sondern auch auf Kosten dieser Eigenschaften. Von der andern Seite können diese glänzenden Eigenschaften im Augenblick einer großen Entscheidung dem

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