Vom Kriege
Seelenstärke von ihnen zu erwarten ist.
Die indolenten Menschen können nicht leicht aus dem Gleichgewicht gebracht werden, aber freilich kann man das nicht Seelenstärke nennen, wo es an aller Kraftäußerung fehlt. Es ist aber nicht zu verkennen, daß solche Menschen eben wegen ihres beständigen Gleichgewichts im Kriege von einer gewissen einseitigen Tüchtigkeit sind. Es fehlt ihnen oft das positive Motiv des Handelns, der Antrieb, und als Folge davon die Tätigkeit, aber sie verderben nicht leicht etwas.
Die Eigentümlichkeit der zweiten Klasse ist, daß sie von kleinen Gegenständen leicht zum Handeln angeregt, von großen aber leicht erdrückt wird. Menschen dieser Art werden eine lebhafte Tätigkeit zeigen, einem einzelnen Unglücklichen zu helfen, aber von dem Unglück eines ganzen Volkes nur traurig gestimmt, nicht zum Handeln angeregt werden.
Im Kriege wird es solchen Männern weder an Tätigkeit noch an Gleichgewicht fehlen, aber etwas Großes werden sie nicht vollbringen, es müßte denn sein, daß in einem sehr kräftigen Verstande die Motive dazu vorhanden wären. Es ist aber selten, daß sich mit solchen Gemütern ein sehr starker, unabhängiger Verstand verbände.
Die aufbrausenden, aufflammenden Gefühle sind an sich für das praktische Leben und also auch für den Krieg nicht sehr geeignet. Sie haben zwar das Verdienst starker Antriebe, aber diese halten nicht vor. Wenn indessen in solchen Menschen die Regsamkeit die Richtung des Mutes und des Ehrgeizes hat, so wird sie im Kriege auf niedrigen Stellen oft sehr brauchbar aus dem bloßen Grunde, weil der kriegerische Akt, über den ein Führer der niederen Stufen zu gebieten hat, von viel kürzerer Dauer ist. Hier reicht oft ein einzelner mutiger Entschluß, eine Aufwallung der Seelenkräfte hin. Ein kühner Anfall, ein kräftiges Hurra ist das Werk weniger Minuten, ein kühner Schlachtenkampf ist das Werk eines ganzen Tages und ein Feldzug das Werk eines Jahres.
Bei der reißenden Schnelligkeit ihrer Gefühle ist es solchen Menschen doppelt schwer, das Gleichgewicht des Gemüts zu behaupten, daher verlieren sie häufig den Kopf, und dies ist für die Kriegführung die schlimmste ihrer Seiten. Aber es würde gegen die Erfahrung sein, zu behaupten, daß [75] sehr reizbare Gemüter niemals stark, d. h. auch in ihren stärksten Regungen im Gleichgewicht sein könnten. Warum sollte auch das Gefühl für die eigene Würde in ihnen nicht vorhanden sein, da sie in der Regel den edleren Naturen angehören. Dies Gefühl fehlt ihnen selten, es hat aber nicht Zeit, wirksam zu werden. Hinterher sind sie meist von Selbstbeschämung durchdrungen. Wenn Erziehung, Selbstbeobachtung und Lebenserfahrung sie früh oder spät das Mittel gelehrt haben, gegen sich selbst auf der Hut zu sein, um in Augenblicken lebhafter Anregung sich des in ihrer Brust ruhenden Gegengewichts noch bei Zeiten bewußt zu werden, so können auch sie einer großen Seelenstärke fähig sein.
Endlich sind die wenig beweglichen, aber darum tief bewegten Menschen, die sich zu den vorigen wie die Glut zur Flamme verhalten, am meisten geeignet, mit ihrer Titanenkraft die ungeheuren Massen wegzuwälzen, unter welchen wir uns bildlich die Schwierigkeiten des kriegerischen Handelns vorstellen können. Die Wirkung ihrer Gefühle gleicht der Bewegung großer Massen, die, wenn auch langsamer, doch überwältigender ist.
Obgleich solche Menschen nicht so von ihren Gefühlen überfallen und zu ihrer eigenen Beschämung fortgerissen werden wie die vorigen, so wäre es doch wieder gegen die Erfahrung, zu glauben, daß sie das Gleichgewicht nicht verlieren und blinder Leidenschaft nicht unterwürfig werden könnten; dies wird vielmehr immer geschehen, sobald ihnen der edle Stolz der Selbstbeherrschung fehlt, oder sooft er nicht stark genug ist. Wir sehen diese Erfahrung am häufigsten bei großartigen Männern roher Völker, wo die geringe Verstandesausbildung immer ein Vorherrschen der Leidenschaft begünstigt. Aber auch unter den gebildeten Völkern und in den gebildetsten Ständen derselben ist ja das Leben voll solcher Erscheinungen, wo Menschen durch gewaltsame Leidenschaften fortgerissen werden, wie im Mittelalter die auf Hirschen angeschmiedeten Wilddiebe durchs Gehölz.
Wir sagen es also noch einmal: ein starkes Gemüt ist nicht ein solches, welches bloß starker Regungen fähig ist, sondern dasjenige, welches bei den stärksten Regungen im Gleichgewicht bleibt, so daß trotz den Stürmen in
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