Vom Kriege
Kartätschen rasseln in Dächern und Feldern, Kanonenkugeln sausen in allen Richtungen an und über uns weg, und schon stellt sich ein häufiges Pfeifen der Flintenkugeln ein; - noch ein Schritt zu den Truppen, zu der im stundenlangen Feuergefecht mit unbeschreiblicher Standhaftigkeit ausharrenden Infanterie; hier ist die Luft erfüllt von zischenden Kugeln, die ihre Nähe bald durch den kurzen scharfen Laut verkünden, womit sie zollweit an Ohr, Kopf und Seele vorüberfliegen. Zum Überfluß schlägt das Mitleiden über den Anblick der Verstümmelten und Hinstürzenden mit Jammerschlägen an unser klopfendes Herz.
Keine dieser verschiedenen Dichtigkeitsschichten der Gefahr wird ein Neuling berühren, ohne zu fühlen, daß das Licht der Gedanken sich hier durch andere Mittel bewege und in andern Strahlen gebrochen werde, als bei der spekulativen Tätigkeit; ja, es müßte der ein sehr außerordentlicher Mensch sein, der bei diesen ersten Eindrücken nicht die Fähigkeit zu einem augenblicklichen Entschluß verlöre. Es ist wahr, die Gewohnheit stumpft diese Eindrücke sehr bald ab; nach einer halben Stunde fangen wir an, gleichgültiger gegen alles zu werden, was uns umgibt, der eine mehr, der andere weniger; aber bis zur völligen Unbefangenheit und zur natürlichen Elastizität der Seele bringt ein gewöhnlicher Mensch es immer nicht - und so mag man denn erkennen, daß mit Gewöhnlichem hier wieder nicht auszureichen ist, welches um so wahrer wird, je größer der Wirkungskreis ist, der ausgefüllt werden soll. Enthusiastische, stoische, angeborene Bravour, gebieterischer Ehrgeiz oder auch lange Bekanntschaft mit der Gefahr, viel von allem dem muß da sein, wenn nicht alle [84] Wirkung in diesem erschwerenden Mittel hinter dem Maß zurückbleiben soll, welches auf dem Zimmer als ein gewöhnliches erscheinen mag.
Die Gefahr im Kriege gehört zur Friktion desselben, eine richtige Vorstellung davon ist zur Wahrheit der Erkenntnis notwendig, und darum ist ihrer hier Erwähnung geschehen.
Fünftes Kapitel: Von der körperlichen Anstrengung im Kriege
Wenn niemand ein Urteil über kriegerische Ereignisse anders fällen dürfte, als in dem Augenblick, wo er von Frost erstarrt oder vor Hitze und Durst verschmachtend, von Mangel und Müdigkeit niedergedrückt ist: so würden wir zwar noch weniger Urteile haben, die objektiv richtig wären, aber sie würden es wenigstens subjektiv sein, d. h. sie würden das Verhältnis des Urteilenden zum Gegenstande genau in sich enthalten. Man erkennt dies schon, wenn man sieht, wie billig herabstimmend, ja schlaff und klein das Urteil derjenigen über die Resultate schlimmer Fälle ist, welche Augenzeugen waren, besonders solange sie sich mitten darin befanden. Dies sei unsere Anschauung, ein Maß des Einflusses, den die körperliche Anstrengung übt, und der Rücksicht, die sie beim Urteil verdient.
Unter den vielen Dingen im Kriege, für deren Gebrauch keine Polizeitaxe ein Maß festsetzen kann, gehört hauptsächlich die körperliche Anstrengung. Vorausgesetzt, daß sie nicht verschwendet wird, ist sie ein Koeffizient aller Kräfte, und niemand kann genau sagen, wie weit sie getrieben werden darf. Das Merkwürdige aber ist, daß, so wie nur ein starker Arm des Schützen die Sehne des Bogens schärfer spannen kann, so ist auch nur von einem starken Geist zu erwarten, daß er im Kriege die Kräfte seines Heeres höher spannen werde. Denn ein anderes ist es, wenn infolge großer Unglücksfälle ein Heer, von Gefahren umgeben, sich wie niederstürzendes Gemäuer in Trümmer auflöst und seine Rettung nur in der höchsten Anstrengung seiner körperlichen Kräfte finden kann; ein anderes, wenn ein siegreiches Heer, allein von stolzen Empfindungen fortgezogen, von seinem Feldherrn nach freier Willkür geleitet wird. Dieselbe Anstrengung, die dort höchstens Mitleiden erregen könnte, müßte uns hier Bewunderung einflößen, weil sie viel schwerer zu erhalten war.
Es tritt also hiermit für das ungeübte Auge einer der Gegenstände ans Licht, die den Bewegungen des Geistes gleichsam im Dunkeln Fesseln anlegen und die Kräfte der Seele im geheimen verzehren.
[85] Obgleich hier eigentlich nur die Rede ist von der Anstrengung, die der Feldherr vom Heere, der Führer von seinen Untergebenen fordert, also von dem Mut, sie zu begehren, von der Kunst, sie zu erhalten: so darf doch die körperliche Anstrengung des Führers und des Feldherrn selbst nicht übergangen werden; wir müssen, nachdem
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