Vom Liebesleben der Stechpalme: Roman (German Edition)
pleite. Du brauchst einen Vorschuss, nicht wahr?«
»Nein.«
Sein Geld schob ich zurück.
»Zu wenig?«
»Nein, ich
will gar kein Geld.«
Scherzhaft
drohte er mir mit dem Finger. »Du willst später ordentlich bei mir abkassieren.
Treibe es nicht zu weit, ich muss dich warnen, nicht mit mir, Valeska Lem, nicht
mit mir.«
Die Scheine
steckte er sorgfältig in seine Börse und verabschiedete sich mit einem Kopfnicken.
Ich beherrschte mich, um ihm keinen Fußtritt in seinen Allerwertesten zu verpassen.
Bis jetzt waren die Versuche, uns körperlich näher zu kommen, so kläglich misslungen,
dass ich wieder einen Fehlschlag fürchtete. Entweder würde ich mir dabei meinen
Fuß verrenken oder das Hüftgelenk verstauchen.
Die Frau des Bürgermeisters kam
später als angekündigt. Neben die Tür stellte sie einen kleinen Reisekoffer und
fing an zu klagen, sie könne gar nicht mehr schlafen, seit sie diese Anzeige in
der Zeitung gelesen hätte. Nicht mal in der Seitenlage könne sie einnicken. Kritisch
besah sie sich die Stühle in meinem Zimmer, dann ließ sie sich auf der Bettkante
nieder. Sie stöhnte laut auf, und das Bett stimmte knarrend ein.
»Haben Sie
Kinder, Frau Lem?«, fragte sie, nachdem sie die Schuhe von ihren Füßen gestreift
und sich auf meinem Bett ausstreckt hatte.
»Nein, ich
habe dafür zwei schwierige Nichten.«
»Und die
Mutter der Kinder, was macht sie?«
»Arbeitet
im Schichtdienst. Die nächsten sechs Monate auf einer Polarstation.«
»Oh, wie
traumhaft! Ich werde auch außer Haus arbeiten. Eines Tages«, die Bürgermeisterfrau
keuchte und massierte ihren dicken Bauch. »Dann werde ich von frühmorgens bis spätabends
nur im Büro sitzen und mittags in die Kantine gehen. Und jeden Samstag ins Kino.
Auch wenn nur mongolische Tierfilme gezeigt werden. Oder deutsche Komödien. Was
meinen Sie, Frau Lem?«
»Tierfilme
sind lustiger.«
»Sicher,
aber preiswert muss es sein, Sie verstehen: eine große Familie.«
»Es gibt
auch Hobbys, die nichts kosten.«
»Ins Schwarze
getroffen, Frau Lem. Zum Beispiel, ich beobachte gerne Menschen. Das kostet nichts.«
»Ein gutes
Hobby«, lobte ich. »Das belastet nicht die Familienkasse. Es sei denn, Sie brauchen
teure Abhörgeräte dazu.«
»Nein, ich
benutze nur ein billiges Fernglas.«
»Und, was
Interessantes gesehen?«
»Ja. Zum
Beispiel Jan Linde und Wanda. Die beiden haben sich oft heimlich getroffen.«
Den leichten
Herzstich schrieb ich der Hitze zu und seufzte: »Wie langweilig.«
Sie sah
enttäuscht aus. »Schade, aber jetzt ist es eh egal. Sogar am Tag, als Czarnecki
den Unfall hatte, waren die beiden Turteltauben zusammen. Meine Putzfrau kann das
bezeugen, aber ich habe gesagt: ›Misch dich da nicht ein, Marysia.‹ Habe ich recht
gehabt, Frau Lem?«
Die Nachricht
versetzte mir einen zweiten Stich. Und den nahm ich deutlich wahr: die Sache mit
dem Alibi! Warum hatte Jan ein falsches Alibi gebraucht? Jetzt war es ganz klar.
Hätte er sein inniges Verhältnis mit der Ehefrau des Unfallopfers zugegeben, hätte
er sich sofort zum Hauptverdächtigen gemacht. Zumindest für einige Zeit. Ich, die
blöde Kuh, gab ihm ein falsches Alibi, damit er aus der Schusslinie des Inspektors
verschwand. Ich, eine scharfsinnige Frau mit akademischem Abschluss, fiel auf seinen
plumpen rührseligen Trick rein. Was hatte mir die Tränen in die Augen getrieben?
Die Vorstellung, dass Jan mit dem Buch meines Vaters in der Hand über unsere Liebe
nachsann. Tatsächlich hatte er eine ganz andere Liebesbeschäftigung im Sinn. Und
nicht nur das.
»Wie kann
man so dämlich sein?«, fragte ich laut.
Die Frau
rang die Hände. »Die Polizei ermittelt aber nicht mehr. Es war nachgewiesenermaßen
ein Unfall. Soll Marysia doch zur Polizei gehen?«
»Nein, lassen
Sie Marysia in Ruhe. Das ist mein Problem.«
Sie stöhnte
lang gezogen. »Wo sind denn Edys Sachen?«
Ich deutete
auf die Kisten an der Wand. »Alles, was Edy in den letzten 30 Jahren gesammelt hat.
Da sind Fotos und Dokumente drin.«
Entsetzt
sah sie mich an. »Fotos?«
»Ja, eine
ganze Menge. Die erste Kiste mit Material habe ich bereits durchgesehen.«
»Und?«
»Sehr spannend.
Wussten Sie, dass man beim Fleischer am Fluss auch Rehkeule oder Wildschweinschinken
bestellen kann?«
Sie schnaubte
hektisch. »Und das wollen Sie der Öffentlichkeit präsentieren?«
»Versteht
sich von selbst. Dazu ein Foto, wie zwei Jäger ein Wildschwein abladen. Direkt vor
dem Laden.« Die Aufnahme hatte ich soeben
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