Von Alkohol bis Zucker - 12 Substanzen die die Welt veränderten
Glasperlen und so weiter beladen, sondern mit Metallen, Textilien und Feuerwaffen. Alle drei tauschte man in Afrika gegen Sklaven. Die arabischen Sklavenhändler waren eben keine »Eingeborenen«, die sich mit irgendwelchem abendländischem Ramsch hätten abspeisen lassen, sondern gewiefte Geschäftsleute, die den Wert ihrer schwarzen Lebendware wohl einzuschätzen wussten. Von Westafrika aus segelten die Sklavenschiffe im Winter in die Karibik, wo die Sklaven verkauft und vom Erlös tropische landwirtschaftliche Produkte erworben wurden; neben Baumwolle vor allem Zuckerprodukte: Zucker selber, Melasse und Rum. Damit fuhren die Schiffe im Frühjahr nach Europa zurück.
Der Sklavenpreis war relativ niedrig und stieg von 1680 bis 1790 von etwa 18 auf 68 Pfund. Die Sklaverei war in Afrika selbst weit verbreitet, auf die unrühmlichen Höhen des Dreieckshandels hat sie aber erst der Zucker geführt. Das Ganze funktionierte natürlich nicht nur deshalb so gut, weil die afrikanischen Eliten so verrückt auf europäische Waren waren – sondern weil die Eliten Europas ebenso verrückt auf Zucker waren. Man ist versucht, diese Gier nach Zucker mit der Gier nach »Süßem« gleichzusetzen.
Um zu verstehen, wie es zu dieser Gier kam, müssen wir noch einmal an den Beginn des 2. Jahrtausends gehen. Zucker war schon bekannt. Nur war er sehr teuer. Teuer ist eigentlich gar kein Ausdruck: Im Jahr 1226 beauftragte der englische König Heinrich III. einen Untergebenen, drei Pfund alexandrinischen Zucker zu beschaffen – falls diese Riesenmenge auf der Messe von Winchester überhaupt zu bekommen sei. Es ist klar, dass dieser Zucker am englischen Königshof nicht dazu diente, (noch gar nicht bekannten) Tee zu süßen. Zucker war ein besonders seltenes und besonders teures Gewürz, ein Spleen von Reichen; sehr geeignet zum Angeben auf Festbanketten. Außer der reichsten Adelsschicht konnte ihn sich keiner leisten. Aber dabei blieb es nicht.
Nur vierzig Jahre später erfahren wir aus den erhaltenen Rechnungsbüchern der Gräfin Leicester, dass im Jahre 1265 insgesamt 55 Pfund Zucker gekauft wurden und dazu 53 Pfund Pfeffer. Die Kombination ist kein Zufall: Eine Mischung aus gemahlenem Zucker und Pfeffer auf geröstetem Brot war ein beliebtes Dessert. Wieder zwanzig Jahre später verbraucht der Hof Edwards I. schon 2900 Pfund Zucker. Der Konsum nimmt in den vermögenden Schichten stetig zu und hält Einzug in die Küchenpraxis. Zucker war ein Gewürz, dessen Vorteil darin bestand, zu fast allem zu passen. Dementsprechend hat man auch fast alles damit kombiniert – die Ergebnisse ließen uns Heutige entsetzt zurückweichen. Im 14. Jahrhundert kommt Zucker an die meisten Fleischspeisen, aber auch an Gemüse. Dazu eine Menge anderer Gewürze, die gut und teuer waren. Das 20. Jahrhundert hat die Handvoll-Mengen an Zucker und Gewürzen, die in solchen Rezepturen auftauchten, etwas herablassend als Notmaßnahme des Mittelalters gedeutet, die den Faulgeschmack des verdorbenen Fleisches überdecken sollte, schließlich hatten sie ja noch keinen Kühlschrank, die Armen!
Das ist Blödsinn. Wer verdorbenes Fleisch isst, stirbt oder wird schwerkrank, egal, ob er im 14. Jahrhundert lebt oder im 21. Die Vorliebe für Zucker in der frühen Neuzeit erklärt sich aus seinen inhärenten Eigenschaften und geänderter Produktion: Er ist erstens wahnsinnig gut und zweitens immer besser erhältlich. Spanier und Portugiesen eroberten im 16. Jahrhundert die Kanaren, Madeira und Sao Tomé. Die Zuckerproduktion verlagerte sich aus dem Mittelmeergebiet in den Atlantik, das machte den Zucker billiger und deutete schon auf die kommende Massenproduktion des Zuckers in noch weiter westlich gelegenen Gebieten der Karibik und Südamerikas hin. Die Nachfrage blieb aber immer größer als das Angebot: Wer je mit Zucker in Kontakt kam, wollte mehr davon und kaufte ihn, sofern er es sich nur irgendwie leisten konnte. Ich behaupte, dass dies noch heute gilt. Nur ist der Zucker mittlerweile so allgegenwärtig geworden, dass er seine Würzqualität verloren hat. Um sie wiederzuentdecken, genügt es, schlichte Zwiebeln zu karamellisieren und in wenig Fleischbrühe weich zu dünsten – es ist jenes Gericht, das wir Jean-Hugues Anglade als Karl IX. im Film »Bartholomäusnacht« seinem Schwager Heinrich von Navarra zubereiten sehen, der ihm eben das Leben gerettet hatte.
Mit der Funktion als Nahrungs- und Süßungsmittel ist die Geschichte des Zuckers aber noch nicht
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