Von der Erde zum Mond
verhielt sich stille und nahm sich vor, die Ereignisse abzuwarten, aber dabei hatte er die Ungeduld des Publicums nicht in Anschlag gebracht, und war wenig befriedigt, als er die Bewohner Tampa’s sich unter seinen Fenstern sammeln sah. Bald nöthigte man ihn durch Murren und Rufen, sich zu zeigen. Man sieht, er hatte sammt den Obliegenheiten auch alle Unannehmlichkeiten der Berühmtheit.
Er erschien also; es ward stille, ein Bürger ergriff das Wort und stellte unumwunden die Frage: »Ist die in der Depesche mit dem Namen Michel Ardan bezeichnete Person auf dem Weg nach Amerika, ja oder nein?«
– Meine Herren, erwiderte Barbicane, das weiß ich so wenig, wie Sie.
– Man muß es wissen, riefen ungeduldige Stimmen.
– Das wird die Zeit lehren, erwiderte kalt der Präsident.
– Die Zeit hat nicht das Recht, ein ganzes Land in Spannung zu halten, entgegnete der Redner. Haben Sie den Plan des Projectils geändert, wie das Telegramm verlangt?
– Noch nicht, meine Herren; aber, Sie haben Recht, man muß wissen, woran man sich zu halten hat; der Telegraph, welcher diese ganze Aufregung verursacht hat, wird wohl die Güte haben, Ihnen vollständige Auskunft zu geben.
– Zum Telegraphen! zum Telegraphen! schrie die Menge.
Barbicane kam herab und begab sich, gefolgt von der ungeheuren Menge, auf’s Bureau der Administration.
Einige Minuten darauf ging eine Depesche an den Syndikus der Schiffsmäkler zu Liverpool ab. Man begehrte Antwort auf folgende Fragen:
»Wie steht’s mit dem Schiff Atlanta? – Wann hat es Europa verlassen? – Befand sich ein Franzose Namens Michel Ardan an Bord?«
Zwei Stunden hernach empfing Barbicane so genaue Auskunft, daß nicht der mindeste Zweifel mehr blieb.
»Der Dampfer Atlanta aus Liverpool ist am 2. October nach Tampa-Town unter Segel gegangen – an seinem Bord befand sich ein Franzose, der unter dem Namen Michel Ardan im Passagierbuch eingetragen ist.«
Auf diese Bestätigung der ersten Depesche erglänzten plötzlich die Augen des Präsidenten, er ballte heftig die Faust und man hörte ihn murren:
»Es ist also doch wahr! Doch möglich! Der Franzose existirt! und binnen vierzehn Tagen wird er hier sein! Aber ‘s ist ein Narr, ein verbranntes Gehirn … Niemals werd’ ich gestatten ….«
Und inzwischen, denselben Abend, schrieb er an das Haus Breadvill & Cie. und bat, bis auf weiteren Befehl den Guß des Projectils zu verschieben.
Sollte ich jetzt die Aufregung schildern, welche ganz Amerika ergriff, und die zehnmal größer war, als bei der ersten Mittheilung Barbicane’s; die Aeußerungen der Journale der Union, wie sie die Nachricht aufnahmen, und nach welcher Weise sie dem Helden des alten Continents zu seiner Ankunft ein Loblied sangen; von der fieberhaften Bewegung, worin jeder die Stunden, Minuten, Secunden zählend lebte, ein Bild geben; nur eine schwache Idee davon, wie alle Köpfe von einem einzigen Gedanken beherrscht, besessen waren, einem einzigen Lieblingsgedanken alle anderen wichen, die Arbeiter stille standen, der Handel gehemmt war, die zur Abfahrt bestimmten Schiffe vor Anker blieben, um die Ankunft des Atlanta nicht zu verfehlen; wie die Eisenbahnzüge voll ankamen und leer zurückkehrten, die Bai Espiritu-Santo unaufhörlich von Dampfern, Packetbooten, Vergnügungs-Yachten, Küstenschiffen aller Größe durchkreuzt war; wollte ich die Tausende von Neugierigen aufzählen, welche in vierzehn Tagen die Bevölkerung von Tampa-Town vervierfachten, und gleich einer Armee im Felde unter Zelten zubringen mußten, diese Aufgabe würde menschliche Kraft übersteigen, es wäre vermessen sie zu versuchen.
Am 20. October um neun Uhr Vormittags signalisirten die Telegraphen des Bahamakanals einen dichten Rauch. Zwei Stunden später tauschte ein großer Dampfer Erkennungssignale mit ihnen. Sogleich wurde der Name Atlanta nach Tampa-Town gemeldet. Um vier Uhr näherte sich das englische Schiff der Rhede Espiritu-Santo. Um fünf Uhr segelte es mit vollem Dampf durch das Fahrwasser der Rhede Hillisboro. Um sechs Uhr legte es sich im Hafen von Tampa vor Anker.
Der Anker hatte noch nicht Grund gefaßt, als bereits hundert Fahrzeuge den Atlanta umgaben. Der Dampfer wurde im Sturm besetzt. Barbicane erstieg zuerst die Verschanzung, und rief mit vergeblich unterdrückter Bewegung:
»Michel Ardan!«
– Hier! rief ein Mann vom Hinterverdeck.
Mit gekreuzten Armen, forschendem Auge, schweigendem Mund heftete Barbicane seine Blicke auf den Passagier.
Es war ein
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