Von der Erde zum Mond
sie nicht den französischen, irländischen und amerikanischen Telegraphenbeamten zur Kenntniß gekommen, so wäre Barbicane nicht einen Augenblick in Verlegenheit gewesen. Er hätte aus Klugheit geschwiegen, um sein Werk nicht in der Achtung herabzusetzen. Es konnte ja, zumal da das Telegramm von einem Franzosen kam, eine Mystification dahinter stecken. War es denn wahrscheinlich, daß irgend ein Mensch so kühn wäre, auch nur den Gedanken einer solchen Reise zu fassen? Und gab es so einen Menschen, war es nicht ein Narr, den man in eine Zelle einschließen mußte, nicht in eine Kugel?
Aber die Depesche war bekannt, weil die Art der Beförderung die Verschwiegenheit ausschließt, und der Vorschlag Michel Ardan’s war schon in allen Vereinigten Staaten verbreitet. Also war für Barbicane kein Grund ihn geheim zu halten. Er berief daher seine zu Tampa-Town anwesenden Collegen, und las, ohne seine Gedanken zu äußern, ohne über die Glaubwürdigkeit der Mittheilung ein Wort zu reden, ihnen kalt den lakonischen Text vor.
»Nicht möglich! – Unwahrscheinlich! – Purer Scherz! – Man macht sich über uns lustig! – Lächerlich! – Absurd!« Alle Ausdrücke zur Bezeichnung von Zweifel, Unglauben, Thorheit, Unsinn – ließen sich einige Minuten lang vernehmen mit Begleitung üblicher Bewegungen. Jeder lächelte, lachte hell auf, zuckte die Achseln. Nur Maston hatte ein Wort der Befriedigung:
»Das ist eine Idee, das!« rief er aus.
– Ja, erwiderte der Major, aber wenn es mitunter gestattet ist, solche Ideen zu haben, so versteht sich dabei, daß man keinen Gedanken hat, sie auszuführen.
– Und warum nicht? erwiderte lebhaft der Secretär des Gun-Clubs, und wollte darüber streiten. Aber man wollte es doch nicht weiter treiben.
Doch war Michel Ardan’s Name zu Tampa bereits ein Stadtgespräch. Fremde wie Einheimische sahen sich einander an, fragten sich und scherzten, nicht über diesen Europäer, – eine Mythe, eine Person der Einbildung – sondern über Maston, der an die Existenz des sagenhaften Individuums glauben konnte. Als Barbicane den Vorschlag machte, ein Projectil nach dem Mond zu entsenden, hielt jeder das Vorhaben für natürlich, ausführbar, lediglich eine Sache der Ballistik! Aber daß ein vernünftiger Mensch sich erbot, in dem Projectil Platz zu nehmen, diese unwahrscheinliche Reise zu wagen, war eine Phantasterei, ein Scherz, eine Posse, und um einen bei den Deutschen wie Franzosen eingebürgerten Ausdruck zu gebrauchen, ein »Humbug!«
Die Spöttereien dauerten unaufhörlich bis zum Abend, und man kann behaupten, daß man in der ganzen Union hell auflachte, was in einem Lande, wo unmögliche Unternehmungen Lobredner, Theilnehmer und Anhänger finden, nichts Gewöhnliches ist.
Doch verfehlte Michel Ardan’s Vorschlag nicht, wie alle neuen Ideen, manche Geister zu beschäftigen. Das brachte die gewöhnlichen Gemüthsbewegungen aus ihrem Gang. »An so was hatte man nicht gedacht!« Dieser Fall gewann bald selbst durch seine Seltsamkeit eine Kraft, die Leute davon besessen zu machen. Man dachte darüber nach. Wie Manches, was man Abends verwirft, wird den folgenden Tag wirklich! Warum sollte nicht eine solche Reise früher oder später einmal ausführbar sein? Aber jedenfalls mußte der Mensch, der sich so der Gefahr aussetzen wollte, ein Narr sein, und gewiß, weil sein Project nicht ernstlich genommen werden konnte, hätte er besser geschwiegen, anstatt eine ganze Bevölkerung durch lächerliche Hirngespinnste in Aufruhr zu bringen.
Aber, für’s Erste, existirt wirklich diese Person? Eine Hauptfrage! Der Name »Michel Ardan« war in Amerika nicht unbekannt! Er gehörte einem wegen kühner Unternehmungen oft genannten Europäer. Sodann, dieses über die Tiefen des Atlantischen Oceans gesendete Telegramm, diese Bezeichnung des Schiffes, auf welchem der Franzose kommen wollte, der für seine demnächstige Ankunft festgesetzte Tag, alle diese Umstände gaben dem Vorschlag einen Anstrich von Wahrscheinlichkeit. Man mußte darüber in’s Reine kommen. Bald traten einzelne Personen in Gruppen zusammen. Diese Gruppen wurden in Folge der Neugierde dichter, wie Atome durch Einwirkung der Anziehungskraft, und zuletzt entstand daraus eine compacte Menge, die sich nach der Wohnung des Präsidenten Barbicane hin bewegte.
Dieser hatte seit Ankunft der Depesche seine Ansicht nicht ausgesprochen; er hatte Maston seine Meinung sagen lassen, ohne weder Billigung noch Tadel zu äußern; er
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