Von der Erde zum Mond
Rauch zu sehen. Das war für die gierigen Blicke zu wenig; aber Barbicane wollte bei dieser Operation durchaus keine Zuschauer. Daher fluchte, murrte, schalt man; man warf dem Präsidenten eine Willkür vor, die wenig »amerikanisch« sei. Beinahe hätte es einen Aufruhr bei den Palissaden von Stone’s-Hill gegeben. Barbicane blieb, wie wir wissen, unerschütterlich in seinem Entschluß.
Als aber die Columbiade völlig fertig war, gestattete er den Zutritt; es wäre auch unhöflich, ja unklug gewesen, die Gefühle des Publicums zu mißachten. Barbicane ließ daher Jedermann zu; doch sein praktischer Sinn gab ihm den Gedanken ein, aus dieser Neugierde Capital zu schlagen.
Die riesenmäßige Columbiade anzuschauen, war wohl etwas Großes, aber in dieselbe hineinzusteigen, schien den Amerikanern ein Glück ohne Gleichen. Daher versagte sich auch kein einziger Besucher dieses Vergnügen, das man ihnen vermittelst einer mechanischen Vorrichtung nebst Dampfkraft verschaffte. Wie wahnsinnig drängte man sich zu, Frauen, Kinder, Greise, in die Geheimnisse des Riesen bis auf den tiefsten Grund des Innern zu dringen. Trotz des hohen Preises von fünf Dollars für die Person strömten zwei Monate lang die Besucher zu, und brachten dem Gun-Club eine Einnahme von fast fünfmalhunderttausend Dollars.
Den ersten Besuch in der Columbiade statteten natürlich die Mitglieder des Gun-Clubs ab, ein Fest, das am 25. September stattfand. Der Präsident Barbicane, Maston, der Major Elphiston, Obrist Blomsberry, der Ingenieur Murchison, und andere hervorragende Mitglieder, im Ganzen zehn, fuhren hinab. Es war im Innern der langen Metallröhre noch ziemlich warm, ein wenig zum Ersticken; aber eine Freude dagegen zum Entzücken! Eine Tafel von zehn Gedecken war da unten hergerichtet, mit tagheller Beleuchtung durch elektrisches Licht. Zahlreiche ausgesuchte Gerichte kamen wie vom Himmel herab vor die Gäste und die besten Weine Frankreichs strömten reichlich bei dem Gastmahl in der Tiefe von neunhundert Fuß.
Das Fest war sehr belebt, ja lärmend; man trank auf’s Wohl des Erdballs und seines Trabanten, auf’s Wohl des Gun-Clubs, der Union, des Mondes, der Phöbe, Selene etc. etc. Alle diese Toaste gelangten in der akustischen Röhre donnerähnlich oben an, wo die Menge rings mit Jubel in die Rufe der zehn Gäste da unten einstimmte.
Maston war außer sich, schrie und gestikulirte, hätte seinen Platz nicht mit einem Königreich getauscht, »hätte auch die geladene Kanone ihn bis zu dem Planetenraum in die Lüfte geschleudert!«
Der Präsident Barbicane am Fenster. (S 116.)
Siebzehntes Capitel.
Eine telegraphische Depesche.
Die großen, vom Gun-Club unternommenen Arbeiten waren, so zu sagen, fertig, und doch sollte es noch zwei Monate dauern, bis das Projectil nach dem Mond geschleudert würde. Die zwei Monate mußten der allgemeinen Ungeduld so lange wie zwei Jahre vorkommen! Bisher waren die geringsten Details der Vorbereitungen von den Journalen, die man mit gierigen und leidenschaftlichen Blicken verschlang, tagtäglich mitgetheilt worden; nun aber war zu befürchten, es möchte diese dem Publicum gespendete »Interessendividende« sehr herabgemindert werden, und jeder erschrak, daß er nicht mehr seinen Theil an der täglichen Gemüthsbewegung haben sollte.
Doch so kam es nicht; es begab sich ein höchst unerwartetes, ganz außerordentliches, unglaubliches, unwahrscheinliches Ereigniß, welches von Neuem die gespannten Geister fanatisiren, die ganze Welt in gesteigerte Aufregung versetzen sollte.
Am 30. September, um drei Uhr siebenundvierzig Minuten Nachmittags, kam ein vom Kabel zwischen Valentia in Irland und der nordamerikanischen Küste befördertes Telegramm an den Präsidenten Barbicane.
Derselbe öffnete und las die Depesche, und so groß auch seine Selbstbeherrschung war, seine Lippen erbleichten, seine Augen wurden trübe beim Lesen der zwanzig Worte ihres Inhaltes.
Michel Ardan. (S. 118.)
Der Text, wie er im Archiv des Gun-Clubs zu finden ist, lautete:
Frankreich, Paris 30. Sept. 4 U. Morg.
»Barbicane, Tampa, Florida. Vereinigte Staaten.
Nehmen Sie statt rundem Projectil ein cylinder-kegelförmiges. Werde darin mit hinauf reisen. Werde mit Dampfboot Atlanta kommen.
Michel Ardan .«
Achtzehntes Capitel.
Der Passagier der Atlanta.
Wäre diese Bestürzung erregende Neuigkeit, anstatt durch den elektrischen Draht einfach mit der Post unter versiegeltem Umschlag angelangt, wäre
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