Von der Erde zum Mond
durch die hundert Stimmen der Fama, die bis zur Heiserkeit sein Lob priesen? Lebte er nicht in einem gläsernen Hause, wo er die ganze Welt zur Vertrauten seiner Geheimnisse machte? Aber er hatte auch eine beträchtliche Anzahl Feinde, Leute, die er mehr oder minder verletzt, verwundet, unbarmherzig gestürzt hatte, indem er die Ellenbogen gebrauchte, um sich in dem Gedränge der Masse Luft zu machen.
Doch liebte man ihn allgemein, behandelte ihn als Schooßkind. Es war, wie man volksmäßig sagt, »ein Mann zum Nehmen oder Lassen.« Und man nahm ihn. Jeder interessirte sich für seine kühnen Unternehmungen und begleitete ihn dabei mit besorgten Blicken, weil man die Unvorsichtigkeit seiner Verwegenheit kannte. Als ihm ein Freund durch Warnungen vor einer bevorstehenden Katastrophe Einhalt thun wollte, antwortete er mit liebenswürdigem Lächeln: »Der Wald ist nur durch seine eigenen Bäume verbrannt.« Er ahnte nicht, daß er damit eins der schönsten arabischen Sprichwörter citirte.
So war der Passagier der Atlanta, stets in Bewegung, stets aufbrausend, von innerem Feuer getrieben, stets aufgeregt, nicht durch das, was er in Amerika vor hatte, – daran dachte er nicht einmal – sondern in Folge seiner fieberhaften Organisation. Standen jemals zwei Personen in auffallendem Contrast, so war es der Franzose Michel Ardan und der Yankee Barbicane, einer jedoch wie der andere unternehmend, kühn, verwegen, jeder in seiner Weise.
Die Betrachtung, welcher der Präsident des Gun-Clubs sich hingab, als er den Rivalen, der ihn an die zweite Stelle hinabdrücken sollte, vor sich sah, wurde rasch durch die Hurrahs und Vivats der Menge unterbrochen. Dies Geschrei wurde so rasend, der Enthusiasmus nahm dergestalt persönliche Formen, daß Michel Ardan, nachdem er tausend Hände gedrückt und dabei fast seiner Finger verlustig geworden wäre, sich in seine Kabine flüchten mußte.
Barbicane folgte ihm, ohne ein Wort zu reden.
»Sie sind Barbicane?« fragte ihn Michel Ardan, sobald sie allein waren, und in dem Ton, als seien sie schon zwanzig Jahre Freunde.
– Ja, erwiderte der Präsident des Gun-Clubs.
– Ah! Guten Tag, Barbicane. Wie geht’s? recht gut? Nun, um so besser, so besser!
– Also, sagte Barbicane, ohne auf Weiteres einzugehen, Sie sind entschlossen die Reise zu machen?
– Fest entschlossen.
– Lassen Sie sich durch Nichts abhalten?
– Durch Nichts. Haben Sie das Projectil abgeändert, wie meine Depesche angab?
– Ich wartete auf Ihre Ankunft. Aber, fragte Barbicane, von Neuem zusetzend, haben Sie wohl überlegt? …
– Ueberlegt! Ist denn Zeit zu verlieren. Ich finde die Gelegenheit, einen Abstecher in den Mond zu machen, und ergreife sie; was weiter? Es dünkt mir, dies bedürfe nicht so vieler Ueberlegung.
Barbicane konnte seinen Blick von dem Manne nicht wegwenden, der von seinem Reiseproject mit solchem Leichtsinn, mit solcher Sorglosigkeit und ohne alle Unruhe sprach.
»Aber Sie haben doch wenigstens«, sprach er, »einen Plan, Mittel der Ausführung?«
– Vortreffliche, mein lieber Barbicane. Aber gestatten Sie mir eine Bemerkung: ich habe so große Luft, meine Geschichte einmal Jedermann zu erzählen, so daß nicht mehr davon die Rede sein soll. Also, besseres vorbehalten, berufen Sie Ihre Freunde zusammen, ihre Collegen, die ganze Stadt, ganz Florida, wenn Sie wollen, ganz Amerika, und ich will morgen bereit sein, meine Mittel darzulegen und auf alle Einwendungen zu antworten. Seien Sie ruhig, ich werde Sie festen Fußes abwarten. Sind Sie das zufrieden?
– Ich bin’s zufrieden, erwiderte Barbicane.
Darauf trat der Präsident aus der Kabine, und theilte der Menge die Absicht Michel Ardan’s mit. Seine Worte wurden mit Beifallstampfen und Freudegrunzen aufgenommen. Damit war jede Schwierigkeit abgeschnitten. Am folgenden Tag konnte Jeder den Helden aus Europa sich nach Luft ansehen. Doch wollten einige hartnäckige Zuschauer das Verdeck nicht verlassen; sie blieben die Nacht über an Bord. Unter ihnen war J. T. Maston, der seinen Haken in das Barkholz des Hinterverdecks eingeschraubt hatte; man hätte ihn loswinden müssen.
»Es ist ein Heros! ein Heros!« rief er in allen Tonarten, »und wir sind nur Weiblein gegen diesen Europäer!«
Der Präsident begab sich, nachdem er die Besucher zum Fortgehen auffordert hatte, in die Kabine des Passagiers zurück, und blieb da bis Mitternacht.
Darauf drückten sich die beiden Nebenbuhler um die Volksgunst warm die Hand, und Michel
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