Von der Erde zum Mond
schützen. Ihr werdet wohl diesen Vorzug Jupiter’s vor unserem Planeten gerne anerkennen, ohne seiner Jahre zu gedenken, deren eins zwölf der unserigen dauert! Ferner, für mich ist es offenbar, daß unter diesen merkwürdigen Lebensbedingungen die Bewohner dieser glückseligen Welt Wesen höherer Gattung sind, die Gelehrten noch gelehrter, die Künstler noch mehr künstlerisch, die Bösen minder böse, die Guten noch besser. Ach! Woran mangelt’s unserem Planeten, um ebenso vollkommen zu sein? Nicht viel! Nur eine Umdrehungsachse, die weniger geneigt wäre gegen die Ebene seiner Bahn.«
– Aber nun! rief eine Stimme voll Ungestüm, vereinigen wir unsere Bemühungen, Maschinen zu erfinden, um die Erdachse zu ändern!
Ein Beifallklatschen gleich dem Donner erschallte bei diesem Vorschlag, der von Niemand sonst als J.T. Maston herrühren konnte. Aber man muß es heraussagen, denn es ist Wahrheit, Viele unterstützten ihn mit ihrem Beifallgeschrei, und hätten die Amerikaner den Stützpunkt gehabt, welchen bereits Archimedes vermißte, sie hätten ohne allen Zweifel einen Hebel construirt, der fähig wäre, die Welt aus ihren Angeln zu heben, und ihre Achse anders zu richten. Aber an diesem Stützpunkt eben fehlte es diesen verwegenen Maschinenkünstlern.
Demungeachtet hatte diese »eminent praktische« Idee einen ungeheuren Erfolg; die Discussion wurde für eine gute Viertelstunde unterbrochen, und lange, sehr lange noch sprach man in den Vereinigten Staaten Amerika’s von dem Vorschlag, welchen der beständige Secretär des Gun-Clubs so energisch gemacht hatte.
Fußnoten
1 Eine alte Lieue = 0,6 geogr. Meilen; die neue = 10 Kilometer = 1,35 geogr. Meilen.
2 Der Leser wird sich erinnern, wie der römische Gesandte an den ägyptischen König Ptolemäus bei der Audienz mit einem Stab einen Kreis um denselben zog, und seine Erklärung über Krieg oder Frieden von ihm verlangte, ehe er aus diesem heraus trete.
3 Die Neigung der Achse des Jupiter zu seiner Bahn beträgt nur 3°5’.
Zwanzigstes Capitel.
Angriff und Abwehr.
Dieser Zwischenfall schien den Schluß der Berathung zu veranlassen. Ein besseres Schlußwort war nicht zu finden. Doch als die Aufregung sich gelegt hatte, vernahm man mit starker und ernster Stimme folgende Worte:
– Nunmehr, nachdem der Redner der Phantasie reichlich Raum gegeben, wolle er zu seinem Gegenstand zurückkehren, weniger sich mit Theorie befassen, und die praktische Seite des Unternehmens besprechen?
Alle Blicke wandten sich auf die Person, welche dies sprach. Es war ein magerer, trockener Mann von energischem Aussehen, mit einem amerikanisch zugeschnittenen Bart, der üppig sein Kinn umgab. Bei der in der Versammlung herrschenden Bewegung hatte er allmälig in der vordersten Reihe Platz gewonnen. Hier stand er mit gekreuzten Armen, glänzenden kühnen Augen mit unverwandtem Blick auf den Helden des Meeting. Nachdem er sein Begehren gestellt, schwieg er, und es schienen weder die tausend auf ihn gerichteten Blicke, noch das durch seine Worte hervorgerufene Murren der Mißbilligung Eindruck auf ihn zu machen. Da die Antwort auf sich warten ließ, stellte er seine Frage nochmals mit demselben klaren und bestimmten Ton, dann fügte er bei:
Wir haben uns hier mit dem Mond zu befassen, nicht mit der Erde.
»Sie haben Recht, mein Herr«, erwiderte Michel Ardan, »die Unterredung ist abgeschweift, kommen wir auf den Mond zurück.«
– Mein Herr, fuhr der Unbekannte fort, Sie behaupten, unser Trabant sei bewohnt. Gut. Aber wenn es Mondbewohner giebt, so leben diese Leute sicherlich ohne zu athmen, denn – ich bemerke es in Ihrem Interesse zum Voraus – es giebt auf der Oberfläche des Monds nicht die geringste Spur von Luft.
Bei dieser Behauptung strich sich Ardan sein helles Haar zurück; er begriff, daß der Streit mit diesem Manne auf den Kern der Frage einging. Er faßte ihn ebenfalls scharf in’s Auge und sprach:
»So! Es giebt keine Luft auf dem Mond! Und wer behauptet das, wenn’s beliebt?«
– Die Gelehrten.
– Wirklich?
– Wirklich.
»Mein Herr«, fuhr Michel fort, »allen Scherz bei Seite, ich habe tiefe Achtung vor den Gelehrten, die etwas verstehen, aber eine tiefe Mißachtung gegen die, welche nichts verstehen.«
– Kennen Sie solche, die zu Letzteren gehören?
»Sehr genau. In Frankreich giebt’s einen, der behauptet, ›mathematisch könne der Vogel nicht fliegen‹, und einen anderen, der die Theorie aufstellt, der Fisch sei nicht
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