Von der Erde zum Mond
industriellen Genie der Amerikaner alle Ehre machte. Man hatte zum ersten Male Aluminium in so beträchtlicher Masse gewonnen, was mit Recht als ein staunenswerthes Ergebniß angesehen werden konnte. Das kostbare Projectil funkelte in den Sonnenstrahlen. Beim Anblick seiner imponirenden Formen mit der kegelförmigen Spitze hätte man’s leicht für so ein dickes Thürmchen in Gestalt einer Gewürzbüchse gehalten, wie sie die Architekten des Mittelalters an den Ecken ihrer festen Schlösser anbrachten; es fehlte dafür nur an Schießscharten und einer Wetterfahne.
»Es sieht mir so aus«, rief Michel Ardan, »als käme ein mit Hakenbüchse und stählernem Panzer gewappneter Mann daraus hervor. Wir werden uns darin wie Feudalherren befinden, und mit etwas Artillerie könnte man darin allen Seleniten-Heeren Stand halten, sofern es deren auf dem Monde giebt!«
– Also ist das Fahrzeug nach Deinem Geschmack? fragte Barbicane seinen Freund.
– Ja! ja! gewiß, erwiderte Michel Ardan, der es mit einem Künstlerauge ansah. Ich vermisse nur schlankere Formen, eine graciösere Spitze; man hätte ihm einen Büschel, Verzierungen von guillochirtem Metall aufsetzen sollen, mit einer Chimäre, z.B. einem Schlaraffengesicht, einem Salamander, der mit ausgebreiteten Flügeln und offenem Rachen aus dem Feuer heraus käme …
– Wozu das? sagte Barbicane, dessen positiver Geist wenig Sinn für Kunstschönheiten hatte.
– Wozu? Freund Barbicane! Ach! Da Du mir so eine Frage stellst, fürchte ich wohl, daß Du’s niemals begreifst!
– Sag’s nur heraus, wackerer Kamerad.
– Nun denn, meiner Ansicht nach, muß man bei dem, was man vornimmt, immer etwas Kunst anbringen, das ist besser. Kennst Du ein indisches Stück, »Das Kinderwägelein« betitelt?
– Nicht dem Namen nach, erwiderte Barbicane.
– Das nimmt mich nicht Wunder, fuhr Michel Ardan fort. So merke Dir, daß in diesem Stück ein Dieb vorkommt, der im Begriff in ein Haus einzubrechen sich die Frage stellt, ob er seinem Loch die Form einer Lyra, einer Blume, eines Vogels oder einer Amphora geben solle?
Ankunft des Projectils zu Stone’s-Hill. (S. 158.)
Nun sag’ mir, Freund Barbicane, wenn Du zu der Zeit zur Jury gehört hättest, würdest Du diesen Dieb verurtheilt haben?
– Ohne Bedenken, erwiderte der Präsident des Gun-Clubs, und zwar unter erschwerenden Umständen.
– Und ich hätte ihn freigesprochen, Freund Barbicane. Deshalb wirst Du nie mich begreifen!
J.T. Maston war fetter geworden. (S. 166.)
– Ich werde es nicht einmal versuchen, mein tapferer Künstler!
– Aber zum Mindesten, fuhr Michel Ardan fort, weil das Aeußere unseres Waggon-Projectils etwas zu wünschen übrig läßt, wird man mir gestatten, es nach meinem Geschmack zu meubliren, und mit allem Luxus, der den Botschaftern der Erde zusteht!
– In der Hinsicht, mein wackerer Michel, erwiderte Barbicane, wirst Du’s nach Belieben machen, wir werden Dich gewähren lassen.
Aber, ehe er das Angenehme vornahm, hatte der Präsident des Gun-Clubs an das Nützliche gedacht, und die von ihm erfundenen Mittel, um die Wirkungen des Gegenstoßes abzuschwächen, wurden mit einer vollendeten Einsicht in Anwendung gebracht.
Barbicane hatte sich gesagt, und nicht ohne Grund, daß keine Sprungfeder Kraft genug haben könne, um die Wirkung des Stoßes gänzlich zu beseitigen, und während seines merkwürdigen Spaziergangs im Gehölz von Skersnaw war er am Ende darauf gekommen, diese große Schwierigkeit auf sinnreiche Weise zu lösen. Das Wasser, darauf rechnete er, sollte ihm diesen ausgezeichneten Dienst leisten. Sehen wir, in welcher Weise.
Das Projectil sollte drei Fuß hoch mit Wasser angefüllt werden, worauf eine hölzerne, vollständig wasserdichte Scheibe an den inneren Wänden des Projectils dicht hinglitt. Auf diesem Floß nahmen die Passagiere ihren Platz. Die flüssige Masse war durch horizontale Scheidewände in Schichten zertheilt. Der Stoß beim Abschießen mußte diese nach einander zerbrechen, worauf sodann jede Wasserschichte, von der niedrigsten aufwärts bis zur höchsten, durch Abzugsröhren nach dem oberen Theile des Projectils drang, und so den Zweck einer Federkraft erfüllte, während die Scheibe, selbst mit äußerst starken Pfropfen versehen, nur nachdem allmälig die verschiedenen Scheidewände zertrümmert waren, mit dem Bodenstück zusammenstoßen konnte. Ohne Zweifel würden die Reisenden nach vollständigem Entweichen der flüssigen Masse
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