Von der Nacht verzaubert
Wieso?«
Jules dachte kurz über das nach, was ich ihm gerade erzählt hatte, und lenkte unsere Unterhaltung dann in eine andere Richtung. »Und, wann kommst du mal wieder vorbei?«
Mein Lächeln erstarb. »Ich kann nicht.«
»Was kannst du nicht?«
»Ich kann nicht vorbeikommen. Ich kann das mit Vincent nicht zulassen.«
»Willst du lieber mit mir zusammen sein?« Er zwinkerte mir verführerisch zu und brachte mich damit wieder zum Lachen. »Ich musste es wenigstens versuchen.« Er nahm meine Hand und verschränkte unsere Finger miteinander.
Ich lächelte verlegen. »Du bist unmöglich.«
»Und du wirst rot.«
Ich verdrehte die Augen. »Einem so jungen und verwegenen Künstler wie dir rennen die Mädels doch sicher die Türen ein.«
»Das stimmt natürlich, wir toten Kerle punkten quasi permanent bei den Mädels.« Er ließ meine Hand los, lehnte sich zurück und warf mir einen frechen Blick zu. »Weil du meine Annäherungsversuche so entschieden ablehnst, kann ich dir ja jetzt erzählen, dass ich ein paar Freundinnen habe, mit denen ich mich abwechselnd treffe, damit keine Geschichte zu ernst wird.«
»Ist eine dieser Freundinnen die leicht bekleidete junge Frau, die ich bei dir im Atelier gesehen habe?«
»Nein, das ist eine rein berufliche Beziehung. Ganz anders als das, was ich dir bieten könnte, wenn du mir eine Chance geben würdest.« Er schürzte seine Lippen zu einem Kuss.
»Mann Jules. Hör schon auf mit dem Mist«, stöhnte ich und knuffte ihn gleichzeitig in den Arm.
»Aua!«, sagte er und rieb die Stelle mit seiner Hand. »Verdammt, du bist nicht nur hübsch, du kannst auch noch richtig fest zuschlagen!«
»Wenn du nur hier bist, um mich zu ärgern, kannst du dich gleich wieder auf den Weg zu eurer noblen Leichenhalle machen«, sagte ich.
»Oooooooooh, sie wagt es, den armen Zombiejungen abzuweisen. Und was, wenn ich Neuigkeiten habe?«
Ich sah ihn an. »Was denn für Neuigkeiten?«
»Dass Vince sich vor Sehnsucht nach dir verzehrt. Er ist todunglücklich.« Jules’ Gesichtszüge waren nun ganz ernst geworden. »Jetzt ist er nicht mehr nur körperlich, sondern auch seelisch tot.«
Mein Bauch krampfte sich zusammen. Ich gab mir große Mühe, dass meine Stimme nicht zitterte. »Jules, es tut mir wirklich leid. Ich wollte es versuchen, aber nachdem ich gesehen habe, wie Charles im Leichensack nach Hause kam ...« Ich machte eine Pause. Jules schaute mich auffordernd an, was mich bestärkte, weiterzusprechen.
»Ich will mich nicht in Vincent verlieben, weil ich dann permanent mit dem Tod konfrontiert würde. Damit hatte ich letztes Jahr schon genug zu kämpfen.«
Er nickte. »Das weiß ich doch. Es tut mir sehr leid, was deinen Eltern zugestoßen ist.«
Ich holte tief Luft und mein wundes Herz verhärtete sich, während ich sprach. »Außerdem bist du nicht ehrlich zu mir. Ich hab Vincent gestern gesehen. Er hat sich mit einer hinreißenden Blondine amüsiert.«
Jules tat so, als hätte er nicht gehört, was ich da gesagt hatte. Er drehte sein Platzset um, nahm einen Kohlestift aus seiner Hemdtasche und fing an zu zeichnen.
»Vince wollte, dass ich mal nach dir sehe«, sagte er, ohne dabei aufzusehen. »Er selbst traut sich nicht in deine Nähe, weil er dir weitere Qualen ersparen will. Nachdem du aber gestern La Palette so fluchtartig verlassen hattest, befürchtete er, du hättest die falschen Schlüsse gezogen. Und damit hat er offensichtlich gar nicht so unrecht.«
Wut loderte in mir auf. »Jules, ich habe es mit eigenen Augen gesehen. Eindeutiger hätte das gar nicht sein können.«
Jules sah auf. »Kate, du bist doch nicht dumm. Deshalb muss ich davon ausgehen, dass du ziemlich blind bist. Geneviève ist eine von uns. Sie ist eine alte Freundin und wie eine Schwester für uns. Vincent ist zwar verliebt, aber ganz sicher nicht in sie.«
Mir blieb die Luft weg.
Zufrieden, dass ihm nun meine ungeteilte Aufmerksamkeit galt, wandte er sich in aller Ruhe wieder seinem Papier zu und zeichnete hoch konzentriert weiter. »Er versucht, das alles zu verstehen. Und eine Lösung zu finden. Er hat mich darum gebeten, dir das auszurichten.«
Jules löste seinen Blick vom Platzset, sah mich an und dann wieder auf das Papier. »Nicht schlecht«, sagte er. Er riss ein Stück davon ab und gab es mir, während er aufstand.
Er hatte mich gezeichnet, wie ich in diesem Café saß. Ich sah aus wie Botticellis Venus, Gelassenheit und natürliche Anmut ausstrahlend. »Das ist wunderschön«,
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