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Von der Nacht verzaubert

Titel: Von der Nacht verzaubert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy Plum
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staunte ich. Mein Blick wanderte von der Skizze zu ihm. Er war todernst.
    » Du bist wunderschön«, betonte er, beugte sich zu mir herunter und gab mir einen Kuss auf die Stirn, bevor er sich umdrehte und das Café verließ.

 
    A ls ich am nächsten Tag von einem weiteren Leseausflug ins Café Sainte-Lucie zu Hause eintraf, trat Mamie gerade mit einem Kunden aus der Wohnung. Die meisten ihrer Kunden waren Kunsthändler und Museumsangestellte, die normalerweise wochentags während der herkömmlichen Öffnungszeiten vorbeikamen. Wenn jemand am Wochenende erschien, konnte man sicher sein, dass er eine private Sammlung hatte.
    Der sehr gut gekleidete Mann stand mit dem Rücken zu mir im Flur, hielt ein großes, schmales, in braunes Papier gewickeltes Objekt in beiden Händen und beobachtete Mamie dabei, wie sie die Wohnungstür verschloss. »Sie können den Aufzug nehmen, ich trage derweil das Bild nach oben«, sagte sie, während der Mann sich umdrehte. Es war Jean-Baptiste.
    »Oh!«, entfuhr es mir. Ich erstarrte, während mein Verstand versuchte, dieses Aufeinanderprallen zweier Welten zu verarbeiten. Der Clan der Untoten, in den ich mich fast verstrickt hätte, traf auf meine richtige, sterbliche Familie.
    »Mein liebes Kind, ich habe dich erschreckt. Ich bitte vielmals um Entschuldigung!« Seine Stimme klang so geschliffen und monoton, als würde er ein Drehbuch vorlesen. Er war so gekleidet wie an dem Tag, an dem ich ihn das erste Mal gesehen hatte. Ein teurer Anzug, eine gemusterte seidene Ascotkrawatte um den Hals und das graue Haar aus dem adeligen Gesicht gekämmt.
    »Katya, mein Schatz, ich möchte dir gerne einen neuen Kunden vorstellen, Monsieur Grimod de La Reynière. Monsieur Grimod, dies ist meine Enkeltochter Kate. Du kommst gerade recht, meine Kleine. Würdest du dieses Gemälde für mich nach oben in mein Atelier tragen? Es ist zu groß und passt leider nicht in den Aufzug.«
    Jean-Baptiste sah mich weiter vergnügt an, während Mamie die Tür zu dem winzigen Aufzug öffnete. Dass er da so selbstzufrieden stand, machte mich rasend. Er hatte eine Grenze überschritten und ungefragt meine Welt betreten, das war ein klarer Verstoß.
    Viele Pariser Wohnhäuser hatten solche Miniaturaufzüge. Schon zu zweit fand man darin kaum Platz, eine dritte Person passte unter keinen Umständen noch hinein — geschweige denn ein großes Bild wie dieses.
    Ich hob das gute Stück vorsichtig an und ging langsam die letzten drei Absätze hinauf. Das Bild war halb so groß wie ich, aber offenbar hatte jemand den Rahmen entfernt, es war also nicht schwer.
    Als ich die letzte Stufe erklommen hatte, schloss Mamie gerade die Tür zu ihrem Atelier auf und plauderte angeregt mit Jean-Baptiste, während sie eintraten. Ich starrte seine steife Silhouette an und fragte mich, was Vincents »Onkel« wohl hier wollte. Erst Jules , jetzt Jean-Baptiste!, fuhr es mir durch den Kopf. Wie sollte ich denn bitte jemals mit Vincent abschließen, wenn ständig »Familienmitglieder« von ihm in meinem Leben auftauchten? Seit dem Gespräch mit Jules fuhren meine Gefühle schon wieder Achterbahn, aber ich blieb trotzdem meinem Entschluss treu — ich setzte schließlich mein Herz aufs Spiel, wenn ich mich weiter mit Vincent traf.
    Ich folgte den beiden und sog den Geruch von Ölfarben und Lack tief ein. Mamies Atelier war stets einer meiner Lieblingsorte gewesen.
    Sechs Dienstmädchenzimmer waren zu einem großen Arbeitsraum zusammengefasst worden, der sich nun über die gesamte obere Etage erstreckte. Große Teile des Dachs waren durch Milchglasfenster ersetzt worden, sodass diffuses Sonnenlicht den Raum durchflutete. Die zahlreichen Gemälde, die darauf warteten, von Mamie restauriert zu werden, standen auf Staffeleien im gesamten Atelier verteilt. Ein verblichenes altes Meistergemälde von einer Kuhherde auf einer Weide stand einem grellbunten postexpressionistischen Bild mit einer Reihe von Cancan-Tänzerinnen, die auf einer Bühne ihre Röcke anhoben, gegenüber. Allem Anschein nach war eine schwarz gekleidete spanische Frau auf einem Nachbarbild darüber sehr entrüstet, so prüde wie sie sich den Fächer vors Gesicht hielt.
    »Dann lassen Sie mich mal einen Blick darauf werfen«, sagte Mamie und nahm mir das Bild ab. Sie legte es auf einen großen Arbeitstisch, der sich in der Mitte des Raumes befand. Nachdem sie vorsichtig das Papier entfernt hatte, drehte sie das Gemälde um und hielt es hoch, um es zu betrachten. Es war das

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