Von der Wüste und vom Meer: Zwei Grenzgänger, eine Sehnsucht (German Edition)
Gedanke ist das, der auch auf das Leben in Wüste und Meer zutrifft.
Erdmann Ich würde gerne eine Lanze brechen für die See, für die Wüste, für einen Ausbruch aus dem Alltag generell. Und den Protagonisten mehr Anerkennung in der Gesellschaft wünschen.
Moser Zu jedem Ausbruch aus dem Alltag gehört aber nicht nur Willenskraft und Glück, man muss auch mit dem Alleinsein klarkommen. Warum bist du so viel allein unterwegs gewesen?
Erdmann Schwierige Frage. Ich finde es einfacher, allein zu reisen. Und das Gelingen ist größer.
Moser Und es ist immer alles gut gegangen.
Erdmann Ich habe zumindest nie fremde Hilfe auf See benötigt. Einfach gesagt, ich habe einen gewissen Instinkt, ein Gefühl, wann ich seglerisch auf dem richtigen Weg bin. Das hat mir geholfen. – Vielleicht nennst du mir mal ein unterschätztes Utensil für unterwegs?
Moser Mein Chech, ein meterlanges Kopftuch, das ich nicht nur als Schutz vor Sonne und Wind verwende. Mittlerweile ist es auch ein Talisman geworden. – Und bei dir?
Erdmann Eine Sonnenbrille, ganz wichtig.
Moser Kannst du über dich lachen?
Erdmann Klar kann ich das, ist sogar sehr vorteilhaft, wenn man lange allein ist. Ohne Lachen könnte ich 343 Tage auf See nicht überstehen. Lachen kann ich besonders über Tiere, wie Fische und Vögel, die über ihre Beute herfallen. Zum Totlachen sind aber auch Kakerlaken, die ich gelegentlich an Bord hatte. Sie können ewig um einen Krümel Brot kämpfen. Oder ich lache, wenn ich selbst verzeihliche Fehler mache. Nach dem Kaputtlachen folgt meistens ein Lied aus vollem Hals. Besonders dann, wenn ich ausgeschlafen bin.
Moser Eine positive Einstellung ist eben ungemein wichtig. Vor allem wenn beim Unterwegssein ab und an der Gedanke des Aufgebens aufflattert. Dann suche ich im Kopf nach Reserven, nach dem Zuspruch eines imaginären Partners, der mir dann sagt: »Komm, das wird schon!« Und tatsächlich geht es dann irgendwann weiter, und man überwindet seinen inneren Schweinehund. – Wie war das bei dir, Wilfried, hast du auf See gelegentlich ans Aufgeben gedacht?
Erdmann Ja, gedacht schon. Nur, der Hafen lag meist weit entfernt, sodass ich Zeit hatte, mir die Sache noch mal zu überlegen. 1985, östlich von Macquarie Island war das der Fall. Ich hatte über 100 Tage im Logbuch, dann kamen Gegenwind, Regen, Nebel und Sturm. Alle Wetter standen gegen mich. »Muss ich hier segeln?«, fragte ich mich und legte den Kurs Richtung Neuseeland. Doch nach einem Tag fand ich, dass das nicht das Richtige war, und ging wieder auf Nonstop-Kurs.
Moser Und?
Erdmann Der sporadische Abbruch hat mir gutgetan. Ich habe viel Kopfballast abgestoßen.
Moser Und wo war es für dich auf See am intensivsten?
Erdmann Natürlich im Südpolarmeer. Das war die Zeit, wo ich über lange Strecken eins mit meinem Schiff war. Wo ich meinte, kathena nui segelt mich und nicht ich das Schiff. Und wenn man nicht alles richtig, aber wenig verkehrt macht, möchte man da immer wieder hin, dieser wilden Mischung wegen.
Moser Für mich war Islands Ódáðahraun-Wüste ein absolutes Highlight. Es ist die größte Lavawüste der Erde. Die amerikanische Raumfahrtbehörde NASA hat diese Region in den 1960er Jahren als Übungsgelände für die ersten Apollo-Astronauten ausgewählt. Kein anderes Gebiet auf der Erde ist der Mondoberfläche so ähnlich. Eine Landschaft wie die Kulisse eines Science-fiction-Films. Keine Büsche, keine Bäume, nur erstarrte Lavafelder mit skurrilen Steingebilden und Gebirgen. Ich liebe das! Dort war es kaum möglich, die gewaltigen Eindrücke der Natur zu verkraften. Aber dort spürte ich auch die ganze Intensität des Lebens.
Erdmann Komm, wir trinken noch einen Kaffee vor deiner Rückfahrt nach Hamburg.
Moser Eigentlich wollte ich unsere Ziele noch ansprechen.
Erdmann Meine Ziele sag ich nicht.
Moser Vielleicht sollte ich mal ziellos durch die Wüste wandern.
Erdmann Ich frage mich des Öfteren, wann kann ich wieder los. Auch ziellos übers Meer würde mir passen.
Glossar
achtern hinten
Achterstag siehe Stag
Backskiste Stauraum im Cockpit
Backstagen bewegliche Drähte, die den Mast schräg nach hinten stützen
Beaufort Skala, die die Windgeschwindigkeit in Stärkegrade einteilt (1 bis 12)
Bilge tiefste Stelle eines Bootes, in der sich das Wasser
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