Von der Wüste und vom Meer: Zwei Grenzgänger, eine Sehnsucht (German Edition)
und Muße hatte, war es wichtiger, sich zu erholen, zu schlafen und sich zu stärken.
Moser Du hast gerade das Wort Gottvertrauen angesprochen. Auch ich bin im christlichen Sinne aufgewachsen: Taufe, Bibelunterricht, Konfirmation. Mit Anfang 20 habe ich mich abervon der Religion etwas entfernt. Erst durch meine Reisen in die Wüsten und die Begegnungen mit den unterschiedlichsten Glaubensrichtungen habe ich mich wieder für den Glauben interessiert. Außerdem muss ich nicht mehr alles hinterfragen. Stattdessen fühle ich mich irgendwie spirituell unterstützt und denke: Der Glaube macht es wahr. Zudem habe ich mittlerweile beim Unterwegssein in der Wüste das Gefühl, als würde ein unsichtbarer Papagei auf meiner Schulter sitzen, der mich ständig begleitet und wie ein Schutzengel über mich wacht. Hört sich vielleicht etwas seltsam an, aber so empfinde ich.
Erdmann Und wenn du ein lang ersehntes Ziel endlich erreicht hast: Wie ist das? Kannst du das ganz alleine genießen? Allgemein sagt man, solche Erlebnisse sind schwer in Worte zu fassen.
Moser Du hast recht, solche »Ankomm-Erlebnisse« sind schwer zu beschreiben. Zum einen fühle ich mich unglaublich »happy«. Andererseits empfinde ich eine große Leere. Denn all das, was mich über viele Monate ausgefüllt und angetrieben hat, ist plötzlich entschwunden, sodass sich ein bisschen Melancholie und Traurigkeit einschleicht. – Und wie ist das bei dir, wenn du nach Hunderten von Tagen wieder nach Deutschland kommst und die unterschiedlichsten Eindrücke nur so auf dich einprasseln, wie verkraftest du die Umstellung?
Erdmann Ankommen ist immer das Ziel. Dafür segle ich monatelang. Darauf freue ich mich schon Wochen vorher. Umso schöner, wenn jemand auf dich wartet. Das Ankommen selbst zu verkraften, ist wenig aufregend. Ich habe meine Frau Astrid, die mir dabei hilft. Sie hält mir grundsätzlich den Rücken frei. Dazu lebe ich etwas abseits auf dem Land, das ist auch von Vorteil. Viel aufregender waren einzelne Begebenheiten unterwegs. Meine letzte Umrundung des Kaps der Guten Hoffnung war magisch. Es war ein so perfekter Tag, wie man ihn selten erlebt. Alle großen Kaps der südlichen Hemisphäre gegen den Wind lagen achteraus, und mir ging ein seliges Glücksgefühl durch den Körper vom Kopf bis in die Beine, wie ich es nie zuvor erlebt habe. Diese Route war bei weitem das anspruchsvollste Seestück, das ich in meinem Leben gesegelt bin. Es hat mir die schlimmsten Situationen, aber auch die großartigsten Momente geboten. Sag mal, wolltest du es nicht auch mal mit dem Wasser aufnehmen? Ich erinnere mich an eine Floßfahrt auf dem Mackenzie River in Kanada. Das war doch bestimmt auch wild und rau. Was waren damals deine Beweggründe?
Moser Neben den Wüsten hat es mich immer mal wieder aufs Wasser gezogen. Ich bin im Kielwasser des Odysseus und der Wikinger gesegelt. Allerdings nicht so spektakulär wie du. Vor allem reizten mich aber immer mal wieder die Flüsse: Nil, Niger, Jangtsekiang und natürlich im Norden Kanadas der große Mackenzie River. Er ist der einsamste unter den großen Strömen der Erde. 1600 Kilometer vom großen Sklavensee bis zum Eismeer.
Erdmann Toll. Großartig. Die jungen Jahre zu genießen, zu experimentieren und so viel wie möglich in der freien Natur zu leben. Bevor man in der Verspießerung landet.
Moser Ja, wir waren damals zu dritt und bauten über einen Zeitraum von drei Wochen ein Holzfloß aus Baumstämmen, das 28 Quadratmeter groß war. Alle Arbeiten haben wir per Hand ausgeführt. Mit Bügelsäge, Axt und Hammer. Es war die Erfüllung eines großen Traums. Schon immer wollte ich mal so ein Abenteuer wie Huckleberry Finn erleben und einen großen Fluss im Norden Amerikas hinabschippern. 54 Tage waren wir dann auf dem Mackenzie River quer durch die Einsamkeit Nordamerikas unterwegs. Herrlich war’s. Wildnis pur. Riesige Wälder mit Bären und Wölfen. Noch heute kann ich mich für Flüsse begeistern, sie sind für mich so eine Art »Sinnbild der Bewegung«. – Hast du auf deinem Sommertörn durch die Ostsee nicht auch mit deiner Segeljolle einige Flussläufe kennengelernt?
Erdmann Mein Sommertörn durch Mecklenburg-Vorpommern ist kein Vergleich zum Mackenzie. Du hattest reißende Stromschnellen und manchmal heftigen Wind im Segel, ich hatte still fließende Flüsschen, Kanäle und absolut stille Seen. Das war im Jahr nach dem Mauerfall. Die Bewohner schienen
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