Von Draussen
frage ich. Ich wage mir gar nicht auszumalen, was wir wohl dort vorfinden werden.
„Nein, er ist ganz in der Nähe.“
Jonathan betritt den nächsten Raum. Obwohl alles von einer dicken Staubschicht bedeckt ist, erkenne ich sofort, dass es sich um die Küche handelt. Der Tisch in der Mitte des Raumes ist sogar noch gedeckt. Das Essen auf den Tellern ist zu grauen Krümeln zerfallen. Ein Glas ist heruntergefallen und auf den Fliesen zerschellt. Da sind noch ein paar Details, die darauf hinweisen, dass die Menschen aufgeschreckt wurden und sehr eilig, wenn nicht sogar in Panik, ihre Wohnung verließen. Ein Stuhl wurde umgeworfen und liegt einen Meter vom Tisch entfernt auf dem Boden. Auf dem Tisch selbst ist eine Karaffe entzweigegangen.
Vielleicht ist das aber auch erst später bei einem Erdbeben geschehen.
Jonathan achtet nicht auf diese Dinge. Er geht schnurstracks auf den Kühlschrank zu. Das riesige Ding hat sogar den passenden Namen. In mittlerweile matt gewordenen Metallbuchstaben prangt Frozen King an der Tür.
„Das muss der Eingang sein“, verkündet Jonathan.
Ich bin fassungslos. „Der Kühlschrank?“
Er öffnet ihn. Auf den Ablageböden stehen noch ein paar Packungen und Gläser. Die Packungen sind aufgedunsen und in den Gläsern befindet sich nur eine trübe Substanz.
Jonathan räumt den Kühlschrank komplett aus. Einschließlich der Ablagefächer. Jetzt bietet er Platz für eine erwachsene Person. Mir ist schleierhaft, warum man früher solche Monster für die Aufbewahrung verderblicher Lebensmittel brauchte. Allerdings ist die Menge an frischer Nahrung, die wir heute erhalten, so gering, dass sie zumeist sofort aufgegessen wird. Supreme benötigt überhaupt keine Kühlung. Ich glaube, das Zeug ist ewig haltbar.
Jonathan kriecht in den Kühlschrank hinein. Ein absurder Anblick. Eine Sekunde lang durchzuckt mich der Gedanke, dass er vielleicht ein wenig wirr im Kopf ist.
Er legt die Handflächen gegen die Innenwand des Kühlschranks und dann ... dann schwingt die Rückseite auf.
„Es funktioniert!“, ruft Jonathan. Er leuchtet mit der Lampe in den Hohlraum hinter dem Frozen King. Ich sehe, wie der Lichtstrahl nach etwa einem Meter auf eine Wand trifft.
„Deshalb sind alle Gebäude in Porterville mit so scheinbar massiven Wänden ausgestattet. In Wirklichkeit sind sie hohl“, sagt Jonathan. Er kramt eine zweite Taschenlampe aus seiner Tasche hervor und reicht sie mir.
„Das ist absolut verrückt.“ Ich gehe in die Hocke und spähe in den Kühlschrank. Aus der Öffnung weht mir ein kühler Luftzug entgegen.
Jonathan entfaltet den Plan. Ich kann mit dem Gewirr aus verschiedenfarbigen Linien und Punkten nichts anfangen.
Jonathan tippt auf einen gelben Punkt. „Hier sind wir. Dieser Gang hier führt nach fünfhundert Metern zu einer Kreuzung. Dort müssen wir uns links halten.“ Er sieht mich an. „Vorausgesetzt, du willst wirklich noch mitkommen.“
„Ja“, sage ich mit möglichst fester Stimme. „Aber nur wenn du versprichst, dass wir sofort umkehren, wenn es gefährlich wird.“
Er lacht und holt einen Revolver aus der Tasche. Das Metall schimmert blau. „Nur für alle Fälle“, sagt er und wiegt die Waffe in seiner Hand. „Das Ding gehört meinem Großvater. Er hat eine ganze Sammlung davon.“
„Steck das weg“, verlange ich.
Er wirkt ein wenig enttäuscht darüber, dass ich seine Begeisterung für die Waffe nicht teile, und lässt sie wieder in der Tasche verschwinden.
Jonathan beugt sich zu mir hinab, schließlich ist er ein gutes Stück größer als ich, und küsst mich. So leidenschaftlich, dass ich augenblicklich erregt bin. Wenn wir jetzt an einem anderen Ort wären, würde ich viel mehr wollen.
Jonathan muss es ähnlich gehen, denn die Beule in seiner Hose ist nicht zu übersehen. Wir kichern. Plötzlich ist alles gut. Ich würde mit Jonathan überall hingehen. Auch in ein geheimnisvolles Labyrinth hinter einem Kühlschrank.
„Ich vermute, dass der Weg nach Draußen ohnehin versperrt ist.“ Er zeigt mir einen roten Punkt auf dem Plan. „Aber wir werden es ja erleben.“
Ich folge ihm in den Kühlschrank.
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