Von Flammen verzehrt
die Tasse ab und kratzte mit dem kleinen Löffel den Rest Espresso heraus. Sie fragte sich, was von den Dingen, die in den letzten Tagen ihr Leben auf den Kopf gestellt hatten, sie dieser Fremden anvertrauen konnte. Sie hatte ja noch nicht einmal eine Ahnung, wer ihr da gegenübersaß.
„Du zögerst, also weißt du es“, stellte Alessa fest.
„Du irrst dich. Ich weiß nicht, was Julien dir vorenthält. Ich weiß auch nicht, was er mir verschweigt, aber er geht all meinen Fragen aus dem Weg und …“
„Natürlich tut er das. Er kann nicht anders. Das hat nichts mit dir zu tun, meine Liebe.“
„Woher willst du das wissen? Kennst du ihn so gut?“
Alessa erhob sich, schwieg aber. Sie trat an den Küchenschrank und goss der Katze Milch in ein Schälchen auf dem Boden.
„Ich lege mich ein wenig hin. Die Aufregung war etwas viel für mich. Fühl dich wie zu Hause, Fay.“
Ihre schlurfenden Schritte entfernten sich, und kurz darauf schloss sich eine Tür.
Fay sah den dunklen Korridor entlang, sich ihrer eigenen Erschöpfung nur allzu deutlich bewusst. War Alessa ihren Fragen absichtlich ausgewichen? Sie stand auf, spülte ihre Tasse aus und kraulte die Katze, die ihr sofort um die Beine strich.
Fay konnte ein Gähnen nicht unterdrücken und sah auf die Uhr. Die Männer waren bereits seit zwei Stunden fort. Da sie keine Ahnung hatte, wann sie zurückkommen würden, beschloss sie, sich besser auch ein wenig Schlaf zu gönnen. Sie nahm die Treppe nach oben und öffnete vorsichtig die erste Tür: ein kleines, recht ordentliches Zimmer mit einer Blümchendecke über dem Bett, dem Bild einer sommerlichen Lagune an der Wand und einem Nachttischchen mit gehäkelter Spitzendecke. Allerdings gab es auch hier keine Lampen, und die geschlossenen Läden ließen nur schmale Streifen des abendlichen Sonnenlichts herein. Das machte Fay gleich noch schläfriger.
Sie ließ sich erschöpft auf die Matratze sinken und schlüpfte aus ihren Schuhen. Ihre Tasche stand noch unten, aber sie war zu müde, diese zu holen. Es war egal, denn sie brauchte nichts weiter als ein wenig Ruhe, darum hob sie die Decke und kroch darunter. Kurz fragte sie sich, ob das Kissen schwach nach Lavendel oder Jasmin duftete, aber, noch ehe sie eine Antwort darauf gefunden hatte, war sie eingeschlafen.
Eine ganze Weile später wurde Fay durch laute Stimmen geweckt. Müde rieb sie sich die Augen und setzte sich auf. Die Pause hatte ihr gut getan. Allerdings verunsicherten sie die Geräusche. Sie schlich zur Tür und presste ihr Ohr daran.
„Diese Kerle machen mich noch ganz paranoid!“, fluchte sie und kam sich ziemlich dumm vor, zu lauschen, als sie erleichtert die Stimmen von Julien und Lamar erkannte. Um Coolness bemüht, strich sich Fay die Locken aus dem Gesicht, zupfte ihr Shirt zurecht und trat in den Flur. Doch etwas an dem, was unten gesprochen wurde, ließ sie erneut innehalten.
„Ich hatte geahnt, dass etwas passiert sein muss“, hörte sie Alessa mit tränenerstickter Stimme sagen. „Aber tot? Wie kann er tot sein, Julien? Er war unsterblich!“
Fay runzelte die Stirn und trat näher an die Treppe, um besser zu hören. Was die alte Frau da sagte, ließ sie an deren Geisteszustand zweifeln.
„Was ist meinem Vater passiert? Sagt es mir! Wer hat ihm das angetan?“
„Wir sind uns sicher, dass der Wanderer Gabriel getötet hat. Er kennt unsere Verwundbarkeit durch Rubine“, erklärte Julien.
„Alessa, ich schwöre dir, wir werden seinen Tod rächen. Dein Vater ist nicht umsonst gestorben!“, versicherte Lamar.
Für Fay machte das alles keinen Sinn. Gerade wollte sie noch ein Stück die Stufen weiter hinabschleichen, als sie das Maunzen der Katze an ihren Füßen zusammenzucken ließ.
„Schhht“, beschwor sie das Tier und drückte sich mit klopfendem Herzen an die Wand.
Julien fühlte sich hilflos. Er empfand den Schmerz über Gabriels Verlust hier in dieser italienischen Küche wieder genauso stark, wie in dem Moment, als er die Rubinspitzen in dessen Brust wahrgenommen hatte. Wenn es schon für ihn so schmerzhaft war, seinen Freund zu verlieren, wie qualvoll musste es erst für Alessa sein, vom Tod ihres Vaters zu hören?
Die blinde Frau lag weinend an Lamars Schulter, und es kam Julien vor, als sähe er wieder das junge Mädchen vor sich. Das Mädchen, das sich im Alter von gerade erst zehn Jahren selbst das Augenlicht genommen hatte, um den Feinden ihres Vaters nicht als Werkzeug dienen zu können.
Julien konnte
Weitere Kostenlose Bücher