Von Flammen verzehrt
zittriger Stimme, „… bist du es wirklich?“
Sie hob ihre beiden Hände an sein Gesicht und strich ihm zärtlich über die Augen, seine Brauen, über die Nase und seinen Mund. Dabei formten ihre Lippen stumme Worte, und Tränen rannen aus ihren geschlossenen Lidern.
„Dass ich diesen Tag noch erlebe!“
Ihre Finger versicherten sich vorsichtig dessen, was ihr Verstand anscheinend anzweifelte. Behutsam legte Julien seine Hände auf ihre und führte sie an seine Lippen. Er hauchte einen Kuss darauf und sah sie, traurig und glücklich zugleich, an.
„Du irrst dich nicht, Alessa, ich bin es wirklich. Und ich bin nicht allein. Willst du uns hereinbitten?“
Die alte Frau zitterte am ganzen Leib und klammerte sich beinahe verzweifelt an Julien fest.
„Sì, sì, natürlich! Kommt herein! Julien Colombier, du meine Güte, was für eine Überraschung. Wer ist bei dir, Julien? Ist Gabriel …?“
„Nein! Nein, Alessa, Gabriel ist nicht hier. Lamar und Cruz begleiten mich … und Fay.“ Er zögerte. „… sie ist eine Freundin und braucht unsere Hilfe.“
Fay sah zu, wie Julien die Frau ins Haus führte und dabei liebevoll ihren krummen Rücken streichelte. Sie fragte sich, ob die Alte wohl seine Mutter oder Großmutter war, denn die tiefe Verbundenheit zwischen den beiden war nicht zu übersehen.
Beinahe verspürte sie Eifersucht, dass er dieser Frau so offen und ungehemmt seine Zuneigung eingestand, was, wie sie selbst erkannte, totaler Unsinn war, denn die Frau war alt und blind.
Da Lamar wohl darauf wartete, dass sie Julien folgte, trat sie durch die Tür in den finsteren Gang.
„Ihr alle seid mir herzlich willkommen. Tretet ein und kommt in die Küche! Du meine Güte, du ahnst nicht, wie groß meine Freude ist, euch alle hier bei mir zu wissen.“
Sie ließ sich, noch immer am ganzen Leib zitternd, auf einen Stuhl sinken und bat ihre Besucher mit einer Geste herein.
Fay sah sich unauffällig um. Hatte sie schon vorher keine Ahnung, was sie wohl erwarten würde, war sie jetzt erst recht verwirrt. Die meisten Fensterläden waren geschlossen, und nur das Fenster, vor dem verschiedene Kräuter in Töpfen wuchsen, stand offen. Der würzige Kräuterduft durchzog den Raum. Der Boden war sauber, aber die Wände mit teilweise abblätternder Farbe wirkten eher heruntergekommen. Es gab keine Lampe an der Decke, nur ein loses Kabel. Gespülte Tassen und Teller standen an der Spüle, und eine getigerte Katze lag zusammengerollt auf dem einzig freien Stuhl.
Lamar trat vor und umarmte Alessa mit mehr Gefühl, als Fay dem großen Kerl mit dem stechenden Blick zugetraut hätte.
„Wir haben oft an dich gedacht“, hörte sie ihn flüstern.
Auch Cruz küsste die Hände der Alten, ehe er sich sichtlich gerührt an den altmodischen Küchenschrank lehnte.
Fay kam sich vor wie ein Eindringling. Sie beobachtete Julien, dessen liebevoller Blick Alessa galt, und wagte es kaum zu atmen, um dieses Bild der harmonischen Wiedervereinigung nicht zu stören.
Schließlich hatten sich alle wieder gefasst. Lamar nahm die Katze vom Stuhl, schob ihn Fay hin und stellte sich zu Cruz, das Kätzchen schnurrend auf seinem Arm.
„Was führt euch hierher?“, fragte Alessa, und ihr blinder Blick streifte die Männer und haftete sich auf Julien, der sich dabei sichtlich unwohl fühlte.
„Es sind zwei Dinge, die uns nach Rom führen. Und beides wird dich unglücklich machen, Liebes“, gestand Julien und sah Hilfe suchend zu Lamar.
Der nickte und fuhr fort.
„Aber so schwer uns dies fällt, Alessa, die Zeit, dir alles zu berichten, fehlt uns jetzt. Wir brauchen deine Hilfe. Fays Schwester, Chloé, wurde als Geisel genommen – und ihre Spur führt uns hierher.“
„Hierher?“, fragte sie aufgebracht. „Ihr seid in Rom nicht sicher! Ich muss nicht sehen können, um dies zu erkennen! Ihr lauft blind in eine Falle!“
„Beruhige dich, Alessa“, bat Julien und drückte ihre Hand. „Wir haben keine Wahl. Wir müssen Chloé retten, ehe ihr der Wanderer etwas antut.“
Alessa wurde blass. Ihre Falten schienen mit einem Mal tiefer, ihre Haut fahler und ihr Haar stumpfer als noch vor einem Augenblick.
„Der Wanderer?“, hauchte sie, und Gänsehaut überzog ihre knochigen Arme. „Du meine Güte!“
Ihre Finger krallten sich in Juliens Hand, als sie forderte: „Ihr führt ihn nicht in dieses Haus, Julien! Verstehst du mich? Ihr seid mir wahrlich willkommen, aber bei allem, was mir heilig ist, schwört, dass dieser … dieser
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