Von Mäusen und Menschen
Schlänglein schlüpfte in das Schilf am Teichufer.
Lennie kam ruhig bis an den Rand des Teiches. Er kniete nieder und trank; kaum berührten seine Lippen die Ober-106
fläche des Wassers. Als ein Vögelchen über die dürren Blätter hinter ihm tänzelte, riß er den Kopf jäh empor und folgte dem Laut angestrengt mit Auge und Ohr, bis er das Vögelchen bemerkte, und dann senkte er den Kopf wieder und trank weiter.
Als er damit fertig war, setzte er sich am Ufer nieder, seitlich zum Teich, so daß er den Flußlauf beobachten konnte. Er umschlang seine Knie mit den Armen und legte den Kopf darauf.
Das Licht kletterte höher, zum Tal hinaus, und wie es anstieg, erglühten die Berge in stärkerem Leuchten.
Lennie sagte leise: »Hab’s nich vergessen, wahrhaftig, verdamm’s Gott. Im Gebüsch verstecken und auf George warten.« Er zog den Hut tief über die Augen. »George wird mir die Hölle heißmachen«, sagte er vor sich hin.
»George wird wünschen, er wär allein un ich plagte ihn nich.« Er drehte den Kopf um und blickte auf die leuch-tenden Berggipfel. »Kann dorthin gehn un ’ne Höhle finden«, murmelte er. Traurig fuhr er fort: »… werd nie wieder Ketchup bekommen … aber das is ja gleich. Wenn George mich nich mehr will, so werd ich weggehn …
werde weggehn.«
Da stieg aus Lennies Kopf das Bild einer kleinen rundli-chen Frau auf. Sie trug eine Brille mit dicken Gläsern und eine baumwollene Schürze mit Taschen, alles gestärkt und blitzsauber. Sie stand vor Lennie, die Hände auf den Hüften, und zog die Stirn mißbilligend in Falten.
Als sie sprach, hatte sie Lennies Stimme: »Hab’s dir gesagt und gesagt«, redete sie auf ihn ein. »Hab dir gesagt:
›Folg George, weil er so ’n netter Bursche is, un so gut zu dir.‹ Aber du nimmst dich nie nich in acht. Immer stellste dummes Zeug an.«
Und Lennie antwortete ihr: »Hab’s versucht, Tante Klara. Hab’s immer wieder versucht. Konnt’s nich helfen.«
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»Nie denkste an George«, fuhr sie mit Lennies Stimme fort. »Er hat dir die ganze Zeit Gutes erwiesen. Wenn er ’n Stück guten Kuchen hatte, dann haste immer die Hälfte oder mehr gekriegt. Und wenn’s Ketchup gab, na, dann hat er dir immer alles gegeben.«
»Ich weiß«, sagte Lennie jämmerlich. »Hab’s versucht, Tante Klara. Immer wieder versucht.«
Sie unterbrach ihn. »Die ganze Zeit hätte er so ’n gutes Leben haben können, bloß wegen dir nich. Er hätte seinen Lohn einstreichen können un sich in ’nem Freudenhaus vergnügen, oder im Spielhaus sitzen un spielen. Aber er mußte für dich sorgen.«
Lennie stöhnte vor Kummer. »Weiß wohl, Tante Klara.
Ich will dort in die Hügel gehn und ’ne Höhle finden un dort leben, damit ich George keinen Verdruß nich mehr mache.«
»Sag das bloß«, erwiderte sie scharf. »Das sagste immer, un du weißt vermaledeit gut, daß de’s nie tun wirst. Wirst immer an ihm kleben und, bei Jesus, George immerfort plagen.«
Lennie sagte: »Kann grad so gut weggehn. George läßt mich jetz doch nich de Kaninchen versorgen.«
Tante Klara entschwand, und heraus aus Lennies Kopf stieg ein mächtig großes Kaninchen. Es saß auf seinen Hinterpfoten vor ihm, wackelte mit den Ohren und zog die Nase kraus. Und es sprach auch mit Lennies Stimme.
»Kaninchen versorgen«, sagte es höhnisch. »Du verrückter Bastard. Bist ’s nich wert, keinem Kaninchen nich die Füße zu lecken. Würdest se vergessen, un se würden hungern. So würdstes machen. Un was würde George davon denken?«
»Würde se nich vergessen«, sagte Lennie laut.
»Zum Teufel auch, du würdst se vergessen«, sagte das Kaninchen. »Wärst nich die gut geschmierte Teufelsnadel 108
wert, mit der man dich in die Hölle bohren sollte. Bei Christus, George hat alles getan, um dich aus dem Pfuhl zu ziehn, aber es nützt nix. Wenn de dir einbildest, George würde dich Kaninchen versorgen lassen, dann biste noch verrückter als sonst. Wird er nich tun. Wird dir mit ’n Stock die Hölle austreiben, jawoll, das wird er tun.«
Lennie gab kampfbereit zurück: »Das wird George auch nich tun. So was wird George nie nich tun. Ich kenne George – ich weiß nich mehr seit wann – un nie hat er die Hand mit ’n Stock gegen mich aufgehoben. Er is nett zu mir. Er wird nich gemein wer’n.«
»Na, er hat dich satt«, sagte das Kaninchen. »Er wird dir die Hölle mit Prügeln austreiben, un dann wird er weggehn un dich alleine lassen.«
»Das wird er nich tun«, schrie Lennie
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