Von Mäusen und Menschen
zu einem Schluß kam. Er bewegte sich vorsichtig auf sie zu, bis er ihr dicht gegenüber saß. »Ich mag gern hübsche Sachen streicheln. Mal auf einem Jahrmarkt hab ich solche lang-haarige Kaninchen gesehn. Die waren niedlich, sag ich dir! Manchmal hol ich mir sogar Mäuse zum Streicheln, aber nur, wenn ich nichts Bessres haben kann.«
Curleys Frau rückte ein wenig von ihm ab. »Ich glaub, du bist verrückt«, sagte sie.
»Nein, das bin ich nicht«, erklärte Lennie ernsthaft.
»George sagt, ich bin nich verrückt. Ich mag gern nette Sachen mit den Fingern streicheln, weiche Sachen.«
Sie fühlte sich wieder sicherer. »Na, wer möchte das nich?« sagte sie. »Das hat jeder gern. Ich fühle gern Seide un Samt an. Magst du gern Samt anfühlen?«
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Lennie kicherte vor Vergnügen. »Wetten, bei Gott«, rief er glücklich aus. »Hab auch mal welchen gehabt. Eine Dame gab ihn mir – un das war meine eigne Tante Klara.
Gab’s mir selber – etwa so ’n großes Stück. Wollte, ich hätte das Stück Samt noch.« Sein Gesicht verfinsterte sich.
»Hab’s verloren«, sagte er, »hab’s lange nich gesehn.«
Curleys Frau lachte ihn an. »Bist verrückt«, sagte sie.
»Aber de bist halt auf deine Art ’n netter Kerl. Wie ’n kleines Kind. Man kann merken, was de meinst. Wenn ich mein Haar mache, setz ich mich manchmal hin un streichel’s, weils so weich is.« Um zu zeigen, wie sie das machte, fuhr sie mit den Fingern leicht über ihr Kopfhaar.
»Manche Menschen haben gräßlich grobes Haar«, sagte sie selbstzufrieden. »Zum Beispiel Curley – sein Haar is wie Draht. Aber meins is weich un fein, ’türlich bürst ich’s mächtig. Das macht’s fein. Hier – fühl’s bloß mal hier an.« Sie nahm Lennies Hand und führte sie über ihren Kopf.
Lennie streckte seine dicken Finger aus, um ihr Haar zu streicheln.
»Bring’s nich durcheinander«, sagte sie.
Lennie sagte: »O wie schön!« und er streichelte kräftiger.
»Paß auf, du wirst’s durcheinander bringen«, und gleich drauf voll Ärger: »Hör jetz auf, du machst alles durcheinander.« Sie warf den Kopf zur Seite, doch Lennies Finger vergruben sich in ihr Haar und blieben haften. »Laß los«, schrie sie auf, »sofort laß los.«
Lennie war von Panik ergriffen. Sein Gesicht verzerrte sich. Sie schrie los, und Lennies andre Hand fuhr ihr über Mund und Nase. »Bitte nich«, flehte er. »O bitte nich!
Schrei nich! George wird wütend wer’n!«
Sie kämpfte leidenschaftlich unter seiner Hand. Ihre Fü-
ße strampelten im Heu, und sie wand sich, um frei zu 97
kommen. Unter Lennies Hand kam ein fast erwürgtes Schreien hervor. »O bitte, tu so was nich«, flehte er.
»George wird sagen, ich hab was Schlimmes getan. Wird mich de Kaninchen nich versorgen lassen.« Er lockerte seine Hand ein wenig, und ihr erstickter Schrei fuhr heraus. Lennie wurde zornig. »Tu das nich«, fuhr er sie an,
»ich will nich, daß de brüllst. Du bringst mich sonst ins Unglück, wie George gesagt hat, du würdest. Tu das nich!« Sie fuhr fort, sich zu wehren, und ihre Augen waren vor Schreck aufgerissen und bekamen einen wilden Ausdruck. Da schüttelte er sie und wurde wütend. »Schrei nich mehr«, rief er, sie heftiger schüttelnd. Ihr Körper zappelte wie ein Fisch. Und dann wurde sie still. Lennie hatte ihr das Genick gebrochen.
Er sah auf sie nieder und nahm vorsichtig seine Hand von ihrem Mund fort und sah, daß sie still lag. »Wollte dir nich weh tun«, sagte er. »Aber George würde wütend, wenn du schreist.« Als sie weder antwortete noch sich regte, beugte er sich dicht zu ihr nieder. Er hob ihren Arm und ließ ihn fallen. Für einen Augenblick schien er perplex. Und dann flüsterte er, von Schrecken gepackt:
»Ich hab was Schlimmes gemacht. Hab wieder was Schlimmes gemacht.« Er häufte Heu an, bis es sie halb bedeckte.
Von draußen her kam der verdoppelte Klang der Hufeisen auf Metall. Zum erstenmal wurde Lennie sich der Au-
ßenwelt bewußt. Er kauerte im Heu nieder und lauschte.
»Hab was ganz Schlimmes gemacht«, sagte er. »Hätte das nich tun sollen. George wird wütend sein. Und … er hat gesagt … un ich soll mich im Gebüsch verstecken, bis er kommt. Er wird wütend sein. Im Gebüsch, bis er kommt.
Das hat er gesagt.« Lennie ging zurück und sah die Tote an. Das Hundejunge lag dicht neben ihr. »Will’s fortwer-fen«, sagte er. »Is schlimm genug ohne das.« Er nahm das 98
Junge unter seinen Mantel, kroch zur Scheunenwand und
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