von Schirach, Ferdinand
natürlich verraten. Wenn sich jemand traute, Pocol zu töten, gab
es für ihr eigenes Leben wenig Hoffnung. Samir sagte, dass die Sache mit der
Schale schnell geregelt werden müsse. Die anderen stimmten zu, und schließlich
kam Özcan auf die Idee, zu einem Anwalt zu gehen.
Die drei jungen Männer
erzählten mir die Geschichte; das heißt, Manólis sprach, er schweifte immer
wieder ins Philosophische ab und hatte Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren.
Das Ganze dauerte ziemlich lange. Dann sagten sie, sie seien sich nicht sicher,
ob Tanata wüsste, wer eingebrochen sei. Sie legten Geld, Uhren und das
Lackkästchen mit der Teeschale auf den Besprechungstisch und baten mich, die
Gegenstände dem Eigentümer zurückzugeben. Ich verzeichnete alles so genau wie
möglich, das Geld nahm ich nicht an, es wäre Geldwäsche gewesen. Ich
telefonierte mit Tanatas Sekretär und vereinbarte für den Nachmittag einen
Termin.
Tanatas Haus lag in einer
ruhigen Straße in Dahlem. Es gab keine Türklingel, eine unsichtbare Lichtschranke
löste ein Signal aus, einen dunklen Gong, wie in einem Zenkloster. Der Sekretär
übergab mir mit beiden Händen und spitzen Fingern seine Visitenkarte, was ein
wenig sinnlos schien, da ich bereits da war. Dann fiel mir ein, dass der
Visitenkartenaustausch in Japan ein Ritual war, und ich tat das Gleiche. Der
Sekretär war freundlich und ernst. Er brachte mich in einen Raum mit
erdfarbenen Wänden und einem Boden aus schwarzem Holz. Wir setzten uns an einen
Tisch auf harte Stühle, ansonsten war das Zimmer leer, nur ein dunkelgrünes
Ikebana-Arrangement stand in der Wandnische. Das indirekte Licht war warm und
gedämpft.
Ich öffnete meine Aktentasche
und breitete die Gegenstände aus. Der Sekretär legte die Uhren auf ein
bereitstehendes Ledertablett, das geschlossene Kästchen mit der Teeschale berührte
er nicht. Ich bat ihn, die vorgefertigte Quittung zu unterschreiben. Er
entschuldigte sich und verschwand hinter einer Schiebetür.
Es wurde vollkommen still.
Dann kam er zurück,
unterschrieb die Quittung für die Uhren und die Teeschale, nahm das Tablett mit
und ließ mich wieder allein. Noch immer war das Kästchen ungeöffnet.
Tanata war klein und sah
irgendwie vertrocknet aus. Er begrüßte mich auf westliche Art, war
offensichtlich gut gelaunt und erzählte von seiner Familie in Japan.
Nach einiger Zeit ging er zum
Tisch, öffnete das Kästchen und hob die Schale heraus. Er fasste sie mit einer
Hand am Boden und drehte sie langsam mit der anderen vor seinen Augen. Es war
eine Matcha-Schale, in der mit einem kleinen Bambusbesen leuchtend grünes
Teepulver geschlagen wird. Die Schale war schwarz, über dunklem Scherben
glasiert.
Solche Schalen wurden nicht
auf Scheiben hergestellt, sondern von Hand geformt, keine glich der anderen.
Die älteste Töpferschule signierte die Keramik mit dem Zeichen Raku. Ein Freund
hatte mir einmal gesagt, dass in diesen Schalen das alte Japan lebe.
Tanata stellte sie behutsam
wieder in das Kästchen und sagte: »Die Schale wurde 1581 von Chojiro für unsere Familie
geschaffen.« Chojiro war der Gründer der Raku-Tradition. Die Schale starrte aus
der roten Seide wie ein schwarzes Auge. »Wissen Sie, es hat schon einmal einen
Krieg wegen dieser Schale gegeben. Das ist sehr lange her, der Krieg dauerte
fast fünf Jahre. Ich bin froh, dass es diesmal schneller ging.« Er ließ den
Deckel des Kastens zuschnappen. Es hallte.
Ich sagte, dass auch das Geld
zurückbezahlt würde, er schüttelte den Kopf. »Welches Geld?«, fragte er.
»Das aus Ihrem Tresor.«
»Da war kein Geld.«
Ich verstand ihn nicht sofort.
»Meine Mandantschaft sagte
...«
»Wenn dort Geld gewesen wäre«,
unterbrach er mich, »wäre es vielleicht unversteuert gewesen.«
»Ja?«
»Und da Sie eine Quittung der
Polizei werden vorlegen müssen, würden Fragen gestellt. Auch bei der Anzeige
habe ich nicht angegeben, dass Geld gestohlen worden sei.«
Wir vereinbarten schließlich,
dass ich die Polizei über die Rückführung der Schale und der Uhren informieren
würde. Natürlich fragte Tanata mich nicht, wer die Täter seien, und ich fragte
nicht nach Pocol und Wagner. Nur die Polizei stellte Fragen; ich konnte mich
zum Schutz meiner Mandanten auf die anwaltliche Schweigepflicht berufen.
Samir, Özcan und Manólis
überlebten.
Samir bekam einen Anruf und
wurde mit seinen Freunden in ein Cafe auf dem Kurfürstendamm gebeten. Der Mann,
der
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