von Schirach, Ferdinand
darfst mich nie verlassen.« Ingrids Stimme zitterte.
Es rührte ihn, er wollte sie
beruhigen, er habe das doch schon in der Kirche bei der Hochzeit geschworen, er
sei glücklich mit ihr, er wolle ...
Sie unterbrach ihn hart, ihre
Stimme wurde lauter, sie hatte jetzt den metallisch-farblosen Klang. »Schwöre
es!«
Und plötzlich verstand er. Das
war kein Gespräch unter Liebenden, der Ventilator, Kairo, die Pyramiden, die
Hitze des Hotelzimmers - alle Klischees verschwanden schlagartig. Er schob sie
ein Stück von sich, um ihr in die Augen sehen zu können. Dann sagte er es. Er
sagte es langsam, und er wusste, was er sagte. »Ich schwöre es.«
Er zog sie wieder zu sich und
küsste ihr Gesicht. Sie schliefen noch einmal miteinander. Diesmal war es
anders. Sie saß auf ihm, sie nahm sich, was sie wollte. Sie waren ernst, fremd
und einsam. Als sie kam, schlug sie ihm ins Gesicht. Später lag er noch lange
wach und starrte an die Decke. Der Strom war ausgefallen, der Ventilator
bewegte sich nicht mehr.
Natürlich bestand Fähner sein
Examen mit Auszeichnungen, legte seine Promotion ab und bekam eine erste Stelle
im Kreiskrankenhaus Rottweil. Sie fanden eine Wohnung, drei Zimmer, Bad, Blick
auf den Waldrand.
Als der Hausrat in München
eingepackt wurde, warf sie seine Plattensammlung weg. Er bemerkte es erst beim
Einzug in die neue Wohnung. Sie sagte, sie könne die Platten nicht ausstehen,
er habe sie mit anderen Frauen gehört. Fähner war wütend. Sie sprachen zwei
Tage fast nicht miteinander.
Fähner mochte die Klarheit des
Bauhauses - sie richtete die Wohnung in Eiche und Kiefer ein, hängte Gardinen
vor die Fenster und kaufte bunte Bettwäsche. Selbst die gestickten Untersetzer
und die Zinnbecher nahm er hin, er wollte sie nicht bevormunden.
Einige Wochen später erklärte
Ingrid, es störe sie, wie er sein Besteck halte. Anfangs lachte er und meinte,
sie sei kindisch. Sie wiederholte den Vorwurf am nächsten Tag und die Tage darauf.
Und weil sie es ernst nahm, hielt er das Messer anders.
Ingrid beschwerte sich, dass
er den Müll nicht runterbringe. Er redete sich ein, dass das nur
Anfangsschwierigkeiten seien. Bald darauf warf sie ihm vor, dass er zu spät
nach Hause komme, er habe mit anderen Frauen geflirtet.
Die Vorwürfe rissen nicht ab,
bald hörte er sie täglich. Er sei unordentlich, er verschmutze seine Hemden, er
zerknittere die Zeitung, er rieche schlecht, er denke nur an sich, er rede
Unsinn, er betrüge sie. Fähner verteidigte sich kaum noch.
Nach einigen Jahren begannen
die Beschimpfungen. Zuerst verhalten, dann immer massiver. Er sei ein Schwein,
er quäle sie, er sei ein Schwachkopf. Dann kamen die Fäkalsprache und das
Anschreien. Er gab auf. Nachts stand er auf und las Science-Fiction-Romane. Wie
zu seinen Studentenzeiten joggte er täglich eine Stunde. Sie schliefen schon
lange nicht mehr miteinander. Er bekam Angebote von anderen Frauen, aber er
hatte keine Affären. Mit 35 übernahm er die Praxis seines Vaters, mit 40 war er ergraut. Fähner war
müde.
Als Fähner 48 war, starb sein Vater; als er 50 war, seine Mutter. Von dem
Erbe kaufte er ein Fachwerkhaus am Stadtrand. Zu dem Haus gehörten ein kleiner
Park, verwahrloste Stauden, 40 Apfelbäume, zwölf Kastanien, ein Teich. Der Garten
wurde Fähners Rettung. Er ließ sich Bücher kommen, abonnierte
Fachzeitschriften und las alles, was es über Stauden, Teiche und Bäume zu lesen
gab. Er kaufte die besten Geräte, beschäftigte sich mit Bewässerungstechnik und
lernte alles mit der ihm eigenen systematischen Gründlichkeit. Der Garten
erblühte, und die Stauden wurden in der Umgebung so bekannt, dass Fähner Fremde
zwischen den Apfelbäumen sah, die dort fotografierten.
Unter der Woche blieb er lange
in der Praxis. Als Arzt war Fähner gründlich und mitfühlend. Seine Patienten
schätzten ihn, seine Diagnosen waren Maßstab in Rottweil. Er verließ das Haus,
bevor Ingrid aufwachte, und kehrte erst nach neun zurück. Die Abendessen voller
Vorwürfe nahm er schweigend hin. Die metallische Stimme Ingrids reihte modulationslos
Satz um Satz Anfeindungen aneinander. Sie war fett geworden, ihre blasse Haut
hatte sich mit den Jahren rosa gefärbt. Ihr wulstiger Hals war nicht mehr
fest, vor ihrer Kehle hatte sich ein Hautlappen gebildet, der im Takt ihrer Beschimpfungen
hin und her waberte. Sie litt unter Atemnot und Bluthochdruck. Fähner wurde
immer dünner. Als er eines Abends mit vielen Worten
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