von Schirach, Ferdinand
sie empfing, war höflich. Er zeigte ihnen auf dem Display eines
Mobiltelefons die letzten Minuten von Pocol und Wagner, entschuldigte sich für
die Qualität der Aufnahme und lud die drei zu einem Kuchen ein. Den Kuchen ließen
sie stehen, aber sie gaben am nächsten Tag die 120.000 Euro zurück. Sie wussten, was
sich gehört, und bezahlten zusätzlich 28.000 Euro »für die Auslagen«, mehr hatten sie nicht auftreiben
können. Der freundliche Herr sagte, das sei doch nicht nötig gewesen, und
steckte das Geld ein.
Manólis zog sich zurück, er
übernahm ein Restaurant seiner Familie, heiratete und wurde ruhiger. In seinem
Restaurant hängen Bilder von Fjorden und Fischerbooten, es gibt finnischen
Wodka, und er plant, mit seiner Familie nach Finnland auszuwandern.
Özcan und Samir wandten sich
dem Drogenhandel zu; sie stahlen nie wieder etwas, was sie nicht zuordnen
konnten.
Tanatas Putzfrau, die den Tipp
zum Einbruch gegeben hatte, machte zwei Jahre später Ferien in Antalya; die
Sache hatte sie längst vergessen. Sie ging schwimmen. Obwohl das Meer an diesem
Tag ruhig war, schlug sie mit dem Kopf gegen einen Felsen und ertrank.
Tanata sah ich noch einmal in
der Philharmonie in Berlin, er saß vier Reihen hinter mir. Als ich mich
umdrehte, grüßte er freundlich und stumm. Er starb ein halbes Jahr später.
Seine Leiche wurde nach Japan überführt, das Haus in Dahlem verkauft, und auch
der Sekretär kehrte in seine Heimat zurück.
Die Schale ist heute der Mittelpunkt
eines Museums der Tanata-Stiftung in Tokyo.
Nachtrag
Als Manólis Samir und Özcan kennenlernte,
stand er im Verdacht, mit Drogen zu handeln. Der Verdacht war unbegründet,
und die richterlich angeordnete Telefonüberwachung wurde kurz darauf
abgeschaltet. Aber der erste Kontakt zwischen Manólis und Samir wurde
aufgezeichnet. Özcan hörte über den Lautsprecher des Handys mit und beteiligte
sich an dem Gespräch.
Samir: »Bist du Grieche?«
Manólis: »Ich bin Finne.«
Samir: »Du hörst dich nicht an wie ein Finne.«
Manólis: »Ich bin Finne.«
Samir: »Du klingst wie ein
Grieche.«
Manólis: »Na und. Nur weil
meine Mutter und mein Vater und meine Großmütter und Großväter und überhaupt
alle in meiner Familie Griechen sind, muss ich doch nicht mein ganzes Leben
als Grieche herumlaufen. Ich hasse Ölbäume und Tzaziki und diesen bescheuerten
Tanz. Ich bin Finne. Alles in mir ist finnisch. Ich bin Finne von innen.«
Özcan zu Samir: »Er sieht auch
aus wie ein Grieche.«
Samir zu Özcan: »Lass ihn doch
Finne sein, wenn er Finne sein will.«
Özcan zu Samir: »Er sieht nicht einmal wie ein Schwede
aus.« Özcan kannte einen Schweden aus der Schule.
Samir: »Warum bist du Finne?«
Manólis: »Wegen der Sache mit den Griechen.«
Samir:»...«
Özcan:»...«
Manólis: »Bei den Griechen läuft das seit
Jahrhunderten so: Stellt euch vor, ein Schiff geht unter.«
Özcan: »Warum?«
Manólis: »Weil es einLeck hat oder
weil der Kapitän besoffen ist.«
Özcan:
»Aber warum hat das Schiff ein Leck?«
Manólis:
»Scheiße, das ist nur ein Beispiel.«
Özcan:
»Hmm.«
Manólis:
»Das Schiff geht einfach unter. O.k.?«
Özcan:
»Hmm.«
Manólis: »Alle ertrinken.
Alle. Versteht ihr? Nur ein einziger Grieche überlebt. Er schwimmt und
schwimmt und schwimmt und erreicht endlich das Ufer. Er kotzt sich das ganze
Salzwasser aus der Kehle. Er kotzt aus dem Mund. Aus der Nase. Aus jeder Pore.
Er rotzt alles raus, bis er endlich halb tot einschläft. Der Typ hat als
Einziger überlebt. Alle anderen sind tot. Er liegt am Strand und pennt. Als er
aufwacht, begreift er, dass nur er überlebt hat. Also steht er auf und erschlägt
den nächsten Spaziergänger, den er trifft. Einfach so. Erst wenn der
Spaziergänger tot ist, ist alles ausgeglichen.«
Samir:»?«
Özcan: »?«
Manólis: »Versteht ihr? Er
muss einen anderen erschlagen, damit der eine, der beim Ertrinken fehlt, auch
tot ist. Der andere für ihn. Minus eins, plus eins. Kapiert?«
Samir: »Nein.«
Özcan: »Wo war das Leck?«
Samir: »Wann treffen wir uns?«
Das
Cello
Tacklers Smoking war hellblau,
sein Hemd rosa. Sein Doppelkinn quoll über Hemdkragen und Fliege, die Jacke
spannte am Bauch und warf über der Brust Falten. Er stand zwischen seiner
Tochter Theresa und seiner vierten Ehefrau, beide überragten ihn. Die schwarz
behaarten Finger seiner linken Hand hielten die Hüfte seiner Tochter
umklammert. Sie lagen dort wie ein
Weitere Kostenlose Bücher