von Schirach, Ferdinand
hundert Jahren mitgeprägt, sie war in Versicherungen, Banken
und der Schwerindustrie engagiert. Tanata schrie nicht, er gestikulierte nicht,
er starrte nur in das Loch. Aber sein Sekretär, der seit dreißig Jahren in
seinen Diensten stand, sagte abends seiner Frau, er habe Tanata noch nie so
wütend gesehen.
Der Sekretär hatte an diesem
Tag viel zu tun. Die Polizei war im Haus und stellte Fragen. Sie verdächtigte
die Hausangestellten - immerhin war die Alarmanlage ausgeschaltet und die Tür
ohne Gewalt geöffnet worden -, aber der Verdacht ließ sich nicht
konkretisieren. Tanata nahm seine Angestellten in Schutz. Mit der Tatortarbeit
kam man auch nicht weiter, die Techniker des LKA fanden keine Fingerabdrücke,
und an DNA-Spuren war nicht zu denken - die Putzfrau hatte gründlich sauber
gemacht, bevor die Polizei gerufen wurde. Der Sekretär kannte seinen Chef gut
und beantwortete die Fragen der Beamten ausweichend und einsilbig.
Wichtiger war es, die Presse
und die großen Sammler zu informieren: Sollte jemandem die Tanata-Teeschale
zum Kauf angeboten werden, würde die Familie, in deren Besitz sie seit mehr als 400 Jahren war, sie zu
Höchstpreisen zurückkaufen. In diesem Fall bäte Tanata nur um den Namen des
Verkäufers.
Das Friseurgeschäft auf der
Yorckstraße hieß wie sein Besitzer: »Pocol«. Im Schaufenster standen zwei
ausgeblichene Wella-Reklamebilder aus den Achtzigerjahren: eine blonde
Schönheit mit Ringelpulli und zu vielen Haaren und ein Mann mit langem Kinn und
Oberlippenbart. Pocol hatte das Geschäft von seinem Vater geerbt. In seiner
Jugend hatte Pocol noch selbst Haare geschnitten, das Handwerk hatte er zu
Hause gelernt. Jetzt betrieb er einige legale und viele illegale
Geldspielsalons. Er behielt den Laden, saß den ganzen Tag auf einem der beiden
bequemen Frisierstühle, trank Tee und machte seine Geschäfte. Mit den Jahren
war er fett geworden, er liebte türkische Süßigkeiten. Sein Schwager betrieb
drei Häuser weiter eine Konditorei und machte die besten >balli elmalar<
der Stadt, Apfelscheiben mit Honig, die in heißem Fett gebraten werden.
Pocol war cholerisch und
brutal, und er wusste, dass das sein Kapital war. Jeder hatte schon einmal die
Geschichte des Wirtes gehört, der zu Pocol gesagt hatte, er solle bezahlen,
was er esse. Das war fünfzehn Jahre her. Pocol kannte den Wirt nicht, und der
Wirt kannte Pocol nicht. Pocol hatte die Bestellung an die Wand geworfen, war
zu dem Kofferraum seines Wagens gegangen und mit einem Baseballschläger
zurückgekehrt. Der Wirt verlor die Sehkraft auf dem rechten Auge, die Milz und
die linke Niere und verbrachte den Rest seines Lebens im Rollstuhl. Pocol
wurde wegen versuchten Totschlags zu acht Jahren Freiheitstrafe verurteilt. Am
Tag des Urteils stürzte der Wirt mit seinem Rollstuhl eine U-Bahn-Treppe
herunter. Er brach sich das Genick, und nachdem Pocol entlassen wurde, musste
er nie wieder ein Essen bezahlen.
Pocol las in der Zeitung von
dem Einbruch. Nach einem Dutzend Anrufen bei Verwandten, Freunden, Hehlern und
anderen Geschäftspartnern wusste er, wer bei Tanata eingebrochen war. Er
schickte ein Torpedo los, einen aufstrebenden Jungen, der alles für ihn tat.
Das Torpedo richtete Samir und Özcan aus, Pocol wolle sie sprechen. Sofort.
Die beiden erschienen kurze
Zeit später in dem Friseursalon, Pocol ließ man nicht warten. Es gab Tee und
Süßigkeiten, man war guter Stimmung. Plötzlich begann Pocol zu schreien,
packte Samir an den Haaren, schleifte ihn durch den Laden und trat ihn in einer
Ecke zusammen. Samir wehrte sich nicht und bot zwischen zwei Tritten dreißig
Prozent an. Pocol nickte grunzend, wandte sich von Samir ab und schlug Özcan
mit einem flachen Holzbrett, das er für solche Fälle im Laden hatte, auf die
Stirn. Danach beruhigte er sich, setzte sich zurück auf den Friseurstuhl und
rief seine Freundin aus dem Nebenzimmer.
Pocols Freundin hatte vor
einigen Monaten noch als Modell gearbeitet und es geschafft, das
Septembermädchen des Playboy zu werden. Sie träumte von Laufstegen oder einer
Karriere bei einem Musiksender, bis Pocol sie entdeckte, ihren Freund
zusammenschlug und ihr Manager wurde. Er nannte das »pflücken«. Er ließ ihre
Brüste vergrößern und ihren Mund aufspritzen. Anfangs glaubte sie ihm seine
Pläne, und Pocol bemühte sich wirklich, sie bei einer Agentur unterzubringen.
Als es ihm zu mühsam wurde, folgten Auftritte in Diskotheken, später in
Stripshows, und am
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