von Schirach
Ladung, Turan solle sich melden.
Turan ging nicht zur Polizei. Er ließ sich auch nicht entschuldigen. Nach
vier Wochen schickte der Beamte die Akte zur Staatsanwaltschaft. Der
Staatsanwalt beantragte einen Strafbefehl, ein Richter unterschrieb ihn. »Wenn
er's nicht war, wird er sich schon melden«, dachte er.
Als Turan den Strafbefehl bekam, hätte er immer noch alles ändern können,
er hätte nur eine einzige Zeile an die Justiz schreiben müssen. Nach zwei
Wochen wurde der Strafbefehl rechtskräftig. Die Vollstreckungsabteilung
schickte eine Zahlkarte, er solle die Strafe bezahlen. Natürlich bezahlte er
nicht, er hätte auch nicht das Geld gehabt. Die Geldstrafe wurde in eine
Gefängnisstrafe umgewandelt. Die Haftanstalt schrieb, er müsse sich innerhalb
von vierzehn Tagen stellen. Turan warf den Brief weg. Nach drei Wochen wurde er
morgens um acht Uhr von zwei Polizisten abgeholt. Seitdem saß er im Gefängnis.
Turan sagte: »Ich war's nicht. Die Deutschen sind so gründlich, die müssen das
doch wissen.«
Turans Missbildung war angeboren, er war immer wieder operiert worden. Ich
schrieb seinen Ärzten und gab die Krankenakten einem Sachverständigen. Er
sagte, Turan hätte niemanden zusammentreten können. Turans Freunde kamen in
die Kanzlei. Sie meinten, er habe Angst vor Hunden, natürlich habe er noch nie
einen besessen. Einer der Freunde kannte sogar Tarun mit dem Pitbull. Ich
beantragte die Wiederaufnahme. Turan wurde entlassen. Nach drei Monaten fand
die Hauptverhandlung statt. Kowski sagte, er habe Turan noch nie gesehen.
Turan wurde freigesprochen. Die Justiz vergaß das Verfahren gegen Tarun.
Nach dem Gesetz hatte Turan einen Anspruch gegen die Staatskasse, elf Euro
für jeden Tag in der Haft. Der Antrag muss innerhalb von sechs Monaten
gestellt werden. Turan bekam kein Geld. Er versäumte die Frist.
Ausgleich
Alexandra war hübsch, blond, braune Augen, auf älteren Bildern trägt sie
ein Band in den Haaren. Sie wuchs auf dem Land in der Nähe von Oldenburg auf,
ihre Eltern hatten einen Bauernhof, Nutztierhaltung, Kühe, Schweine, Hühner.
Sie mochte ihre Sommersprossen nicht, las historische Romane und wollte
unbedingt in die Stadt. Ihr Vater besorgte ihr nach der mittleren Reife dort
eine Lehre in einer ordentlichen Bäckerei, ihre Mutter half bei der
Wohnungssuche. Anfangs hatte sie noch Heimweh und fuhr am Wochenende nach
Hause. Dann lernte sie Leute in der Stadt kennen. Sie lebte gerne.
Nach der Lehre kaufte sie ihr erstes Auto. Ihre Mutter hatte ihr das Geld
gegeben, aber sie wollte es selbst aussuchen. Sie war neunzehn, der Verkäufer
zehn Jahre älter, groß, schmale Hüften. Sie machten eine Probefahrt, er
erklärte den Wagen. Sie musste immer auf seine Hände sehen, schmale, sehnige
Hände, sie gefielen ihr. Am Ende fragte er sie, ob sie mit ihm essen oder ins
Kino ginge. Sie war zu nervös und lachte, sie sagte Nein. Aber sie schrieb auf
den Kaufvertrag ihre Telefonnummer. Eine Woche später verabredeten sie sich.
Ihr gefiel, wie er über die Dinge redete. Sie mochte, dass er ihr sagte, was
sie tun sollte. Alles fühlte sich richtig an.
Sie heirateten zwei Jahre später. Auf dem Hochzeitsfoto trägt sie ein
weißes Kleid. Sie ist braungebrannt, sie lacht in die Kamera und hält den Arm
ihres Mannes, der zwei Köpfe größer ist. Sie hatten einen richtigen Fotografen
bezahlt. Das Bild würde immer auf ihrem Nachttisch stehen, sie hatte bereits
den Rahmen gekauft. Beiden gefiel das Fest, der Alleinunterhalter mit der
Hammondorgel, sie tanzten, obwohl er sagte, er sei kein großer Tänzer. Ihre
Familien passten gut zusammen. Ihr Lieblingsgroßvater, ein Steinmetz mit
Staublunge, schenkte ihnen eine Statue zur Hochzeit: ein nacktes Mädchen, das
ihr ähnlich sah. Sein Vater gab ihnen Geld in einem Umschlag.
Alexandra hatte keine Angst, es würde gut gehen mit diesem Mann. Es war
alles so, wie sie es sich gewünscht hatte. Er war liebevoll, sie glaubte ihn zu
kennen.
Das erste Mal schlug er sie, lange bevor das Kind geboren wurde. Er kam
betrunken nach Hause, mitten in der Nacht. Sie wachte auf und sagte, er rieche
nach Alkohol. Sie fand es nicht schlimm, sie sagte es einfach so. Er brüllte
sie an und zog ihr die Bettdecke weg. Als sie sich aufsetzte, schlug er ihr ins
Gesicht. Sie erschrak, sie konnte nichts sagen.
Am nächsten Morgen weinte er, der Alkohol sei schuld, sagte er. Sie mochte
es nicht, wie er auf dem Küchenboden saß. Er sagte, er würde nie
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