Von Zwanzig bis Dreißig
nun unser »Schenkendorf« (so hieß Lepel im Tunnel), um solche großartige Person am Abschlusse furchtbar durchlebter Belagerungswochen mit einem Unteroffizier einen Schottischen tanzen zu lassen. Es fehle nur noch der steife Grog. Alles war baff nach dieser Philippika. Lepel selbst rappelte sich zuerst wieder raus und sagte: »Das ist dein gutes Recht, daß es dir nicht gefällt; aber du könntest es vielleicht in andere Worte kleiden.« Ich nickte zustimmend dazu, hielt jedoch stramm aus und sagte: »Was meine Worte gefehlt haben mögen, nehme ich gerne zurück; aber den Inhalt meiner Worte halte ich aufrecht. Ich finde, daß du dem großen Stoff ein großes Unrecht angetan hast.« 12
Die ganze Szene wirkte länger nach, als das sonst wohl der Fall war. Aber es kam doch wieder zum Frieden. Er sah wohl ein, daß ich, bei meinem derzeitigen Engagiertsein, nicht anders hatte sprechen können.
Das war Herbst I859. Anfang der siebziger Jahre verheiratete sich Lepel zum zweiten Male. Seine erste Frau war eine ganz ausgezeichnete Dame von feinem musikalischen Sinn, dabei von Charakter und Lebensernst gewesen. Aber leider hatte sie von diesem Ernst, ich will nicht sagen mehr als gut ist, aber doch mehr als speziell meinem alten Freunde lieb und genehm war, ja seiner ganzen Natur nach lieb und genehm sein konnte. Lepel hatte, so martialisch er aussah – so martialisch, daß der Kronprinz, der spätere Kaiser Friedrich, ihm einmal zurief: »Alle Wetter, Lepel, Sie werden dem Großen Kurfürsten immer ähnlicher« – Lepel, sag' ich, hatte trotz dieses beinahe bärbeißigen Aussehens einen ganz ausgesprochenen Sinn für die heitere Seite des Lebens, und so hab' ich denn kaum einen Menschen kennengelernt, der das ganze Gebiet der Kunst und allem vorauf die Reize von Esprit, Witz und Komik so durchzukosten verstanden hätte wie gerade er. Dergleichen gemeinschaftlich zu genießen, blieb ihm bei seiner ersten Frau versagt, und er suchte nach dem ihm versagt Gebliebenen in seiner zweiten Ehe. Jeder weiß aus Beobachtung und mancher aus Erfahrung, wie selten das glückt. Lepel aber hatte den großen Treffer, es zu treffen und in seiner zweiten Ehe wirklich das zu finden, wonach er sich in seinem Gemüte gesehnt hatte. Noch geraume Jahre hat er an der Seite seiner zweiten Frau gelebt, zuletzt in Prenzlau, wohin er in seiner militärischen Eigenschaft – Landwehrbezirkskommando – versetzt worden war. Dort ist er auch gestorben.
Eine Seite seines Wesens hab' ich noch hervorzuheben vergessen oder doch nur eingangs, bei Besprechung des Ganganelli-Gedichts, ganz kurz erwähnt. Es war dies seine Stellung zum Katholizismus. Er, der gütigste Mann von der Welt, war in dieser Frage ganz rabiat, und die viel zitierte, gegen Rom und Papsttum sich richtende Herweghsche Zeile: »Noch einen Fluch schlepp' ich herbei«, war ihm ganz aus der Seele gesprochen. Ich brauche kaum hinzuzusetzen, daß er, dieser antipäpstlichen Richtung entsprechend, auch eine »freimaurerische Größe« war. Er lebte zuletzt ganz in den Aufgaben dieses Ordens. Ich habe, durchaus anders geartet wie er, weder seine Liebe noch seinen Haß begriffen. Wenn ich ihm das gelegentlich aussprach, lächelte er halb wehmütig, halb überlegen und sagte dann wohl: »Ja, Fontan, du orakelst da mal wieder los. Das macht, du hast einen merkwürdig naiven Glauben an dich selbst und denkst immer, du weißt so ziemlich alles am besten. Aber ich kann dir sagen, hinterm Berge wohnen auch noch Leute.«
Neuntes Kapitel
Wilhelm von Merckel
»Ich hatt' einen Kameraden, einen bessern find'st du nit« ... Dieser mir Unvergeßliche, dem ich durch mein Leben hin als einem freundlich väterlichen Helfer verpflichtet bleibe, war
Wilhelm von Merckel.
Wilhelm von Merckel war 1803 in Friedland in Schlesien geboren, Sohn aus einem reichen Kaufmannshause – Leinenindustrie – und Neffe des ausgezeichneten schlesischen Oberpräsidenten von Merckel. Die Studienjahre führten Wilhelm von Merckel nach Heidelberg, welchem Ort er eine große Liebe bewahrte. Gern sprach er davon, auch von einem Besuche, den er, ein Menschenalter später, der geliebten alten Stätte noch einmal abgestattet hatte. »Während ich da von der Schloßruine her in den schönen Grund hinabsah, war mir, als stünd' ich am Grab meiner Jugend.« Anfang der dreißiger Jahre kam er nach Berlin und sah sich hier in das Haus des Justizministers Mühler, des Vaters von Heinrich von Mühler, eingeführt. Er wurde der
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