Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Von Zwanzig bis Dreißig

Von Zwanzig bis Dreißig

Titel: Von Zwanzig bis Dreißig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
Vom Netzwerk:
Fonseca, Saint Paul, Leo Goldammer –, wenn auch Scherenberg selbst unbedingt der Sanspareil blieb.
    Es kam übrigens noch ein andres hinzu, was unser Gespräch gerade bei diesen Merckelschen Réunions immer wieder beleben mußte. Das war der Umstand, daß uns um ebenjene Zeit, Anfang der fünfziger Jahre, die Herausgabe der »Argo« beschäftigte, von der wir uns alle viel versprachen, niemand aber mehr als unser liebenswürdiger Wirt selbst. Und das konnte kaum anders sein. Ein lebelang war er herzlich bemüht gewesen, sein Talent zu bekunden, hatte sich aber durch seine Scheuheit an jedem Erfolge behindert gesehn; er war eben nicht der Mann des Umherschickens von Manuskripten oder gar des Sichbewerbens um redaktionelle Gunst. Und so kam er denn zu nichts. Aber daß es so war,
das
zehrte doch an seinem Leben. Und nun mit einem Male sollte das alles in ein Gegenteil verkehrt und er, der sich immer bescheiden zurückgehalten, in den Vordergrund gestellt und sogar ein Pilot unserer »Argo« werden. Denn er war ausersehn, unsrem Schiff auf dem Titelblatt den Spruch für seine Fahrt in die weit ausgespannten Segel zu schreiben. Das geschah denn auch buchstäblich. Er war wie trunken davon, und ich sage wohl nicht zuviel, wenn ich jene Zeit die glücklichste seines Lebens nenne. Jeder Plan, jeder Beitrag wurde bei Tische durchgesprochen, und wenn dann das Mahl zu Ende ging und die mit zierlich eingeschliffenen Bildern ausgestatteten, ganz altmodischen Ungarweingläser herumgereicht wurden, die schon vom Großvater her in der Familie waren, und dazu ein Wein, der an Alter hinter den Gläsern kaum zurückstand, so tranken wir auf »gute Fahrt«.
    Das waren schöne Tage, schön durch vielerlei, vor allem durch den innren Gehalt dessen, an dessen Tisch wir saßen, und das führt mich dazu, hier von seinem
Charakter zu
sprechen. Er war der lauterste und gesinnungsvornehmste Mann, den ich in meinem ganzen Leben kennengelernt habe, dabei von einem tiefen Bedürfnis nach Freundschaft und Liebe. Daß er dies Bedürfnis so tief empfand und so rührend dankbar war, wenn er dem gleichen Gefühle begegnete, das hing damit zusammen, daß sein scheues, weltabgewandtes Leben ihn daran gehindert hatte, nach Art andrer um Freundschaft und Liebe zu werben. Und daß es so war, das lag wiederum daran, daß er in seinem überfeinen Sinn seiner äußeren Erscheinung von Jugend an mißtraut hatte. Klein, aber doch eigentlich wohlgebildet, zog er diese Wohlgebildetheit beständig in Zweifel und mochte sich den Blicken Fremder – und nun gar erst richtiger »Berliner« – nicht gern aussetzen. Er behandelte sich selbst wie einen »heimlich Verwachsenen« und hat sich, eine fremde Gestalt vorschiebend, in seiner bedeutendsten Erzählung »Der Frack des Herrn von Chergal« in rührender Selbstironie wie folgt geschildert. »... Nun werden sich unter meinen Lesern sehr wahrscheinlich einige jener Stiefsöhne der Natur befinden, die nicht um ihrer Seele, wohl aber um ihres Leibes willen an einem bösen Gewissen laborieren, und wenn nicht von Reue, so doch von stiller Verschämtheit bedrückt, ihren leiblichen ›Verdruß‹ durch das lange Leben zu tragen verurteilt sind. Ich meine natürlich nicht jene Glücklicheren, welche durch einen notorischen, aller Welt offenkundigen Höcker der Mühe des Verbergens und Vertuschens überhoben sind, ich meine jene geheimen Dulder, denen die Natur einen
feineren
Schabernack antat und ihnen dadurch die Versuchung nahelegte, das störende Zuviel oder Zuwenig auszugleichen, was dann gleichbedeutend ist mit der Notwendigkeit eines unausgesetzten Lügenspiels und der ewigen Furcht vor Entdeckung.« In dieser Schilderung des Herrn von Chergal haben wir ihn selbst. Er war denn auch ganz der Mann engster Kreise; nur kein Hinaustreten ins Öffentliche. Wenn in Sommertagen seine Frau zeitweilig in den Bergen oder an der See war und er durch Wochen hin das Hauswesen allein zu führen und zu Mittag und Abend in seiner Potsdamerstraßennachbarschaft herumzutabagieren hatte, so waren das immer qualvolle Zeiten für ihn; er hatte kein Talent und keine Lust, sich mit sonderbaren Tischnachbarn und noch sonderbareren Kellnern zu benehmen. Er war überaus sensitiv. Zugleich die Friedfertigkeit selbst. Aber daneben freilich, wie das nicht selten sich findet, von einem hohen moralischen Mut, so daß der, der den Glauben hegte, sich dem kleinen Manne gegenüber etwas erlauben zu können, einer Niederlage so gut wie gewiß sein

Weitere Kostenlose Bücher