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Von Zwanzig bis Dreißig

Von Zwanzig bis Dreißig

Titel: Von Zwanzig bis Dreißig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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ableitete.
    Natürlich war er mir infolge davon Autorität und, soweit es reichte, auch Vorbild in allem Gesellschaftlichen, dabei lächelnd meine gelegentlichen Fragen beantwortend. »Ach, diese Gesellschaften!« hob ich dann wohl an. »Wenn nur nicht der Eintrittsmoment wäre! Sieh, wenn ich in einen großen Saal trete, weiß ich nie, wohin mit mir. Es erinnert mich immer an die Zeit meiner Schulaufsätze: wenn ich nur erst den Anfang hätte!« Lepel wußte natürlich Rat. Er hörte sich meinen Stoßseufzer ruhig an und sagte: »Nichts einfacher als das. Wenn du eintrittst, reckst du dich auf und hältst Umschau, bis du die Wirtin entdeckt hast. Nehmen wir den ungünstigsten Fall, daß sie ganz hinten steht, am äußersten Ende des Saals, so steuerst du, jeden Gruß oder gar Händedruck Unberufener ablehnend, auf die Wirtin zu, verneigst dich und küßt ihr die Hand. Ist dies geschehen, so bist du installiert: Alles andere findet sich von selbst.« Eine so kleine Sache dies ist, ich habe doch großen Nutzen daraus gezogen.
    In seiner Güte gegen mich war er im ganzen mit meinem gesellschaftlichen Verhalten zufrieden oder ließ es gehen, wie's gehen wollte. Nur wenn Extrafälle kamen, nahm er mich vorher ins Gebet, um mir gewisse Verhaltungsmaßregeln einzuschärfen. So handelte es sich mal um eine Prinzessin Carolath. Da wollten denn – es lag ihm daran, daß ich einen möglichst guten Eindruck machte – die Weisungen und Ratschläge kein Ende nehmen. Alles aber erschien mir verkehrt, und es war gewiß das beste, daß ich mich schließlich nicht danach richtete. Wenn man einer vornehmen Dame vorgestellt werden soll, und zwar nicht auf Attachéschaft, sondern auf Dichterschaft hin, so ist es am besten, alles vollzieht sich nach dem Satze: »Schicksal, nimm deinen Lauf.« Irgendwas Dummes wird man gewiß sagen; aber es ist doch besser, diese Dummheit kommt frisch vom Faß, als daß sie sich als Produkt eines voraufgegangenen Drills kennzeichnet. Im ersteren Fall wird sie immer noch was haben, was vornehme Damen amüsiert, im anderen Fall ist alles bloß tot und langweilig.
    Solche Lehrstunden, geglückt und nicht geglückt, gab er mir öfter, und manche davon sind mir heiter in der Erinnerung geblieben. Die netteste trug sich auf einer schottischen Reise zu. Wir saßen gemeinschaftlich in einem reizenden Hotel in Stirling und wollten anderen Tags nach Inverneß. Ich war in einer etwas gedrückten Stimmung und gestand ihm endlich, als er mich nach der Ursache davon fragte, daß ich kurz vor unserer Abreise von London einen Streit mit meiner Frau gehabt hätte. »Ja«, sagte er, »das hab' ich bemerkt ... Ich will dir sagen, du verstehst so was nicht.« »Was nicht?« »Einen Streit mit einer Frau. Sieh, du machst viel zu viel Worte dabei. Worte wirken auf Frauen gar nicht. Immer nur Taten. Und dabei muß man sich's was kosten lassen. Ein halbwahnsinniger Ausbruch, natürlich erkünstelt, in dem man etwas möglichst Wertvolles zerschlägt. Das tut Wunder ...« »Aber ich bitte dich ...« »Wunder, sag' ich. Und gerade bei Personen in unserer Lage. Bei Bankiers ist es schwieriger und versagt gelegentlich. Wenn ein Bankier etwas zerschlägt, so freut sich seine Frau, weil sie nun das Wertvolle durch etwas noch Wertvolleres ersetzen kann; außerdem hat sie noch das Vergnügen des Einkaufs, des Shopping. Aber wenn ich deine Verhältnisse richtig beurteile, so kannst du schon durch ein ganz mittelmäßiges Kaffeeservice viel erreichen. Ein großer Spiegel ist freilich immer das beste.« So Lepel. Ich hab' den praktischen Wert solcher Kriegsführung – es kam nie recht dazu – nicht ausgeprobt, doch kann ich nicht leugnen, daß ich mich an der jenem Stirling-Abend entnommenen Vorstellung: »Es gibt eine ultima ratio« mehr als einmal aufgerichtet habe.
    Trotz dieser Anerkennung muß ich aber hier wiederholentlich sagen, daß mein alter Lepel mit seinen Direktiven nicht immer am richtigen Platze war. Desto glücklicher dagegen war er in seiner Kritik, in seinem Urteil über mein Tun. Er vermied dabei, ganz feiner Mann, der er war, alle großen Worte, traf aber immer den Nagel auf den Kopf und wirkte dadurch in hohem Maße erzieherisch. Als ich als Franz-Grenadier unter ihm diente, traf es sich, daß er mal als ein patrouilleführender »Feind« an mich herantrat und auf meinen Anruf die Losung oder das Feldgeschrei nicht recht wußte. Zwischen uns lag ein kleiner Graben, und die Fichten der Jungfernheide säuselten über

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