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Von Zwanzig bis Dreißig

Von Zwanzig bis Dreißig

Titel: Von Zwanzig bis Dreißig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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»Trampel« gab. Diese Wandlung hängt mit mancherlei zusammen, nicht bloß mit dem allgemeinen großen Bildungsfortschritt, sondern viel viel mehr noch mit dem Umstande, daß sich die gegenwärtig dienende Klasse von weither rekrutiert. Früher war es nur lokal berlinisches oder aber aus dem zehnmeiligen Umkreise genommenes märkisches Landesgewächs, während jetzt der starke Zuzug aus Pommern, Mecklenburg, Sachsen und Schlesien für eine wesentliche Verbesserung gesorgt hat. Nicht die Bildung und Gesittung der aus diesen Provinzen Einwandernden ist größer, aber die
Rasse
ist im ganzen genommen um ein Erhebliches feiner. Am frappantesten zeigt sich dies an der ganzen baltischen Küstenbevölkerung. Was das Rat Kummersche Haus damals beherbergte, stand auf einer allerniedrigsten Stufe. Der Rat selber war von Mittag an ausgeflogen. Erschien dann der soldatische Liebhaber, so wurde das arme, dem Dienstmädchen anvertraute Kind an einen Bettpfosten gebunden, und als sich dies auf die Dauer als untunlich herausstellte, sah sich die Kleine mit in die Kaserne genommen, wo sie nun auf dem großen, quadratisch von Hinter- und Seitenflügeln umstellten Hofe herumstand, bis das Liebespaar wieder erschien und den Rückweg antrat. Es prägten sich die während dieses Umherstehens und Wartens empfangenen Bilder dem Kinde so tief ein, daß es sich, als es viele Jahre später am Nervenfieber darniederlag, in seinen Phantasien immer wieder auf dem furchtbaren Kasernenhofe sah, aus dessen hundert Fenstern ebenso viele Grenadiere herniedergrinsten.
    Bei solcher Hauspflege konnte nicht viel Feines herauskommen, und als ich die Kleine zum erstenmal sah, trug sie heruntergeklappte nasse Stiefel, einen kleinen Mantel von rotem Merino mit schwarzen Käfern drin und einen sonderbaren, nach hinten sitzenden Strohhut, der ihr bei den Straßenjungen den Beinamen »das Mächen mit de Eierkiepe« eingetragen hatte. Das alles war aber in meinen Augen viel mehr frappant als störend, und ich möchte beinah sagen, daß ich mich auf der Stelle in das sonderbare Kind verliebte. Das Gesicht, ein blasses Dreieck mit vorspringender Stirn und Stubsnase, war nahezu häßlich, aber die zurückliegenden, etwas unheimlichen Augen glühten wie Kohlen und machten, daß man das Kind bemerken mußte.
    Es war ein sehr glückliches und ein sehr unglückliches Kind. Der alte »Rat«, ein so sonderbarer Heiliger er war, war in vielen Stücken von außerordentlicher Güte gegen die Tochter, und während er sie zu Hause vernachlässigte, schickte er sie doch in eine ganz feine Schule, wo nur reiche Bourgeoiskinder und adlige Fräuleins vom Lande, die sich bei der Inhaberin der Schule zugleich in Pension befanden, anzutreffen waren. Zwischen diesen saß sie dann wie Aschenputtel. Unter Ungütigkeit hatte sie jedoch nie zu leiden, im Gegenteil, es war eine Art Komment, sich ihrer anzunehmen. Sie fühlte den Unterschied dieser beglückten Existenzen und ihres eigenen Lebens und hatte das brennende Verlangen, auch einmal in einem guten Hause zu sein. Und siehe, dies Ersehnte schien sich ihr auch verwirklichen zu sollen; eine reiche Holzhändlerstochter, deren Gunst oder Teilnahme sie sich zu gewinnen gewußt hatte, lud sie zu ihrem Geburtstage ein, und der Eingeladenen Herz schwoll nun in unendlichem Glück. Aber leider traf es sich so, daß das schon an der ersehnten Glückspforte stehende Kind gerad am Tage vorher auf dem zur Schule führenden Wege wie wahnsinnig umherjagte und bei der Gelegenheit, sei's aus Versehen, sei's aus Übermut, eine sehr sauber gekleidete Mitschülerin in eine Baugrube stieß, eine Szene, die seitens der holzhändlerischen Geburtstagsmutter von ihrem Blumenfenster aus beobachtet worden war. »Ich bitte mir aus, daß du dies furchtbare Balg nicht etwa mit in deine Geburtstagsgesellschaft bringst.« Und die Tochter mußte die Zurücknahme der Einladung am andern Morgen ausrichten. Meine Frau hat mir oft erzählt, dies sei die größte Kränkung ihres Lebens gewesen; so arm, so elend, so ausgestoßen sei sie sich nie wieder vorgekommen. Dies war also der schlimmste Fall. Aber ähnliches, wie das hier Erzählte, kam doch nicht selten vor, und deshalb fühlte sich das arme, früh elternlose Kind oft recht unglücklich. Trotzdem indessen war sie mit Hülfe großer Elastizität und noch größerer Phantasie doch auch wieder glücklich, ja vorwiegend glücklich, und wartete, wenn der Sturm vorüber, heiter und mit einer Art Sicherheit auf ihren

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