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Von Zwanzig bis Dreißig

Von Zwanzig bis Dreißig

Titel: Von Zwanzig bis Dreißig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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in den fünfziger Jahren, und jetzt liest es niemand mehr. Aber wenn ein Zufall einem literarischen Feinschmecker das Büchelchen auf seinen Tisch führen sollte, so wird er eine genußreiche Stunde von der Lektüre haben.
    W. von Merckel starb in den Weihnachtstagen 1861; achtundzwanzig Jahre später, im November 1889, fand seine Witwe Henriette von Merckel geb. von Mühler neben ihm ihre Ruhestätte. Sie hatte die Liebe, die der so lange vor ihr Heimgegangene für mich und die Meinen gehabt hatte, wie ein Vermächtnis übernommen, und wenn meine Frau und ich, zu Beginn unserer Ehe,
sein
»Ehepaar« gewesen waren, so waren unsere Kinder die Kinder seiner ihn überlebenden Gattin. Sie haben denn auch zeitweilig ihr Leben mehr im Hause »Tante Merckels« als im eignen elterlichen Hause verbracht, und die Rückerinnerung daran erfüllt sie bis diesen Tag mit dankbarer Freude.
     

Fritz, Fritz, die Brücke kommt
     
Erstes Kapitel
Verlobung. Der alte Rouanet
    Der Tunnel, von dem ich in dem voraufgehenden Abschnitt ausführlich erzählt habe, hat mich, wenn auch viel persönlich Erlebtes mit hineinspielte, von mir selber weit weggeführt, und es wird Zeit sein, in mein richtiges Geleise zurückzukehren.
    Ostern 1845, nach Abschluß meines Militärjahres bei den »Franzern«, sah ich mich meinem eigentlichen Berufe wiedergegeben. Aber das Wie und Wo machte mir einigermaßen Sorge, denn der Rahm von der Milch war abgeschöpft, indem ich bis dahin immer nur Stellungen innegehabt hatte, die für die besten in Deutschland galten. Ich konnte mich also mutmaßlich nur verschlechtern und ließ denn auch ein volles Vierteljahr vergehn, eh ich mich wieder band. Erst zu Johanni trat ich in die »Polnische Apotheke«, Friedrichsstraße, ganz in Nähe der Linden, ein, wobei mich mein guter Stern, wie gleich vorweg bemerkt sein mag, auch wieder glücklich führte. Was Wohnung und dergleichen anging, so stand alles dies hinter Leipzig und Dresden, wiewohl wir auch da nicht in diesem Punkte verwöhnt worden waren, um ein gut Teil zurück; es wurde das aber durch die sogenannte »Prinzipalität« wieder ausgeglichen. Medizinalrat Schacht und Frau waren,
er
durch Charakter,
sie
durch Liebenswürdigkeit und französischen Esprit – sie entstammte einer magdeburgischen Refugiéfamilie – ausgezeichnet. Meine Kollegen im Geschäft präsentierten sich wie gewöhnlich sehr durchschnittsmäßig, ohne jeden interessanten oder auch nur komisch aparten Zug, mit Ausnahme des eigentlichen Geschäftsführers, eines schon älteren Herrn, der die für einen Apotheker verhängnisvolle Eigenschaft hatte, von heftigen Brustkrämpfen befallen zu werden, wenn auch nur das leiseste Stäubchen von Ipecacuanha in der Luft war. Und was ist eine Apotheke ohne Ipecacuanha! Die Folge davon war, daß man – übrigens lange vor meinem Eintritt in das Geschäft – in einem lichtlosen, wie eine Grabkammer wirkenden Verschlag eine Nebenapotheke etabliert hatte, drin wir andern, die wir gegen Ipecacuanha gefeit waren, das für unsern Kollegen so verhängnisvolle Mittel dispensieren mußten. Der dadurch herbeigeführte beständige Exodus aus der eigentlichen Apotheke in die Grabkammer hinein und dann wieder zurück war natürlich eine große Belästigung für uns und führte zu Spöttereien, Auflehnungen und Anschuldigungen. Es sei, so hieß es unter uns, ja alles bloß Komödie; dieser lederne Mensch (der er übrigens wirklich war) habe sich nur herausgeklügelt, daß man ohne einen kleinen Sonderzug eigentlich gar nicht bestehen könne; wenn er aber, was wohl möglich, zu beschränkt sein sollte, solchen Gedanken in sich aufzubringen, so sei doch
das
ganz sicher, daß er die Sache rein als Machtfrage behandle und sein Ansehn und seine Geschäftsunentbehrlichkeit nach der Kondeszendenz bemesse, womit man sich diese seine Schrulle gefallen lasse. Wir hatten indes wohl unrecht mit unsrem Verdacht, denn jedesmal, wenn wir ihn bemogelten und hinter seinem Rücken auch nur eine kleinste Dosis von Ipecacuanha mit Zuckerpulver zusammenrührten, so war der Anfall da. Das bekehrte
mich
denn auch. Andere dagegen blieben unbekehrbar und versicherten nach wie vor: er habe bloß gut aufgepaßt und unsere Mogelei bemerkt und sofort mit einer Gegenkomödie darauf geantwortet.
    Unter den Kollegen war also nicht recht was. Desto glücklicher traf ich es, wie gewöhnlich, mit den Lehrlingen, die meist Söhne wohlhabender, oft sehr angesehener Leute waren. Aus allen ist denn auch

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