Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Von Zwanzig bis Dreißig

Von Zwanzig bis Dreißig

Titel: Von Zwanzig bis Dreißig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
Vom Netzwerk:
sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, verlassen. In Konflikte mit seiner in Toulouse sehr angesehenen Familie geraten, war er um die genannte Zeit als Flüchtling nach der Schweiz (Neufchâtel) gegangen und daselbst preußischen Werbern in die Hände gefallen. Nach Potsdam gebracht, sah er sich hier – denn er war sechs Fuß groß – in das Bataillon Garde eingereiht und gehörte bald zu den vielen, die nicht Ursache hatten, mit solcher Fügung ihres Schicksals sonderlich unzufrieden zu sein. Die Stattlichkeit seiner Erscheinung, seine feine Bildung – er hatte protestantische Theologie studiert, woraus auch seine Konflikte mit der Familie herrührten – und nicht zum wenigsten das ausgezeichnete Französisch, das er sprach, machten den König ihm zugeneigt, und Anfang der achtziger Jahre, bald nach dem bayerischen Erbfolgekriege, gab ihm der Alte Fritz von Sanssouci aus einen besonderen Beweis seiner Gunst. In der Stadt Beeskow war der Stadtkämmerer gestorben, und es galt, diese Stelle neu zu besetzen. Friedrich der Große behändigte seinem Günstling Etienne Rouanet ein eigenhändiges Schreiben, das dieser dem Beeskower Magistrat vorzulegen hatte. Das Schreiben lautete: »Der Beeskower Magistrat ist hierdurch angewiesen, den pp. Rouanet als Stadtkämmerer anzustellen und ihm ein Gehalt von jährlich 1000 Taler zu zahlen.« Das war für jene Zeit eine große Summe. Sich Weisungen der Art zu widersetzen, entsprach nicht den damaligen Gepflogenheiten, und Rouanet ward also Kämmerer. Das ist er denn auch an die fünfzig Jahr gewesen. Anfänglich war man in einer gewissen versteckten Opposition gegen ihn, als dann aber die »Franzosenzeit« kam, sah er sich in der Lage, dem ganzen Landesteile Beeskow-Storkow so große Dienste leisten zu können, daß er ein Gegenstand der Verehrung und Liebe wurde, worauf er, seinem ganzen Charakter nach, ohnehin allen Anspruch hatte. Er war hochherzig, hatte sich die schönen, leider so oft zur Karikatur verzerrten Grundsätze der Aufklärungszeit zu eigen gemacht und handelte danach, oft in sehr schweren Lagen. Als er ungefähr achtzig war, trat er mit vollem Gehalt in den Ruhestand, was der Stadt Beeskow die Pflicht auferlegte, zwei Kämmerergehalte bezahlen zu müssen. Indessen getröstete man sich, daß es bei seinem hohen Alter nicht lange dauern würde. Darin aber ging man einer Enttäuschung entgegen; der alte Rouanet brachte es bis auf zweiundneunzig, was denn doch die Geduld der Beeskower auf eine harte Probe stellte. Sie rächten sich denn auch durch kleine Malicen. Rouanet, so hieß es, sei eigentlich längst tot; die Angehörigen aber besäßen ein gutes Porträt von ihm, Brustbild, das sie, wenn's dunkel würde, jedesmal ins Fenster stellten, um bei den Vorübergehenden den Glauben wach zu halten, der Alte lebe noch. Etwa 1830 starb er dann aber wirklich. Ob seine Enkelin einige Züge von ihm geerbt, vermag ich nicht festzustellen. Indessen, wenn nichts direkt Persönliches, so war doch jedenfalls etwas Südfranzösisches auf sie übergegangen, und als ich 1835 das damals ziemlich verwilderte Kind im Hause meines Onkels August, eines Freundes und Jeu-Genossen des »Rates Kummer«, kennenlernte, schien es nicht bloß ein französisches Kind aus dem Languedoc zu sein, sondern mehr noch ein Ciocciaren-Kind aus den Abruzzen.
     
Zweites Kapitel
     
»Rat Kummer«. Des alten Rouanet Enkelin
    Dies Abruzzenhafte des Kindes lag nun freilich nicht bloß an seiner südlichen Abstammung, sondern zu gutem Teil an den wunderlichen Verhältnissen, in denen »Rat Kummer« lebte, beziehentlich während der letzten drei, vier Jahre gelebt hatte. Weiter zurück, als er das Kind adoptierte, war er mit einer russischen Dame verheiratet, einer sehr gütigen und doch zugleich charaktervollen Frau, bei der die Kleine vorzügliche Tage hatte; bald aber starb die Frau, und an die Spitze des Haushaltes trat ein Berliner Dienstmädchen. Was solch Dienstmädchenhaushalt sagen will, davon kann man sich in dem gegenwärtigen Berlin kaum noch eine Vorstellung machen. Es wird auch heute noch über Dienstmädchen geklagt, aber darüber ist doch wohl kein Zweifel, daß es jetzt viele Tausende gibt, bei denen die Kinder nicht schlechter aufgehoben sind als bei den Eltern, oft viel besser. Ein starker, höchst erfreulicher Grundstock von Anstand, Bildung, Ehrlichkeit, ja von feinstem Ehrgefühl ist jetzt reichlich zu finden, während es damals, wenigstens in kleinen Familien, nur die sogenannten

Weitere Kostenlose Bücher