Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Von Zwanzig bis Dreißig

Von Zwanzig bis Dreißig

Titel: Von Zwanzig bis Dreißig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
Vom Netzwerk:
humoristisch gestimmte Seele sprach aus ihren klugen Kinderaugen. Sie übermittelte die jedesmaligen Wünsche der Schwestern und wandte sich dabei zumeist an mich, nicht weil sie mich für den Bestimmbarsten gehalten hätte, sondern weil ich sie am meisten amüsierte, was wohl mit meinem damals noch ganz unverfälschten Berlinertum zusammenhang. Sie verstand es oft nicht; aber meine ganze Art zu sprechen, vielleicht auch der Klang der Stimme, war eine stete Erheiterung für sie. Hoffentlich ist sie glücklich geworden.
     
    Ich will nun beschreiben, wie die Tage vergingen, und wähle dazu zunächst einen Sommertag.
    Erst um acht oder auch wohl noch später brauchten wir – natürlich mit Ausnahme des einen, der die »Wache« hatte – an unsrem Geschäftstisch zu erscheinen, und so waren wir denn in der angenehmen Lage, wenn wir nur recht früh aufstanden, die schöne Morgenfrische zwei oder dritthalb Stunden lang genießen zu können. Davon machten wir denn auch redlich Gebrauch. Um sechs rüsteten wir uns, um in der Elster oder Pleiße – ich glaube, es war ziemlich genau die Stelle, wo Poniatowski ertrunken war – ein Schwimmbad zu nehmen, und eine Stunde später ging es in das »Rosental«, an dessen Eingang wir uns, weil jeder seine Lieblingsstelle hatte, zu trennen pflegten. Es gab damals zwei Hauptlokale, vielleicht existieren sie unter gleichem Namen noch: Bonorand und Kintschy. Ich hielt es mit Kintschy. Zu so früher Stunde waren noch kaum Gäste da, und der ganze reizende Platz gehörte mir. Ein auf Holzpfeilern ruhendes, weit vorspringendes Dach überdeckte eine Veranda mit einem vorgelegenen Kiesweg, den von der anderen Seite her die großen alten Bäume überschatteten. In allen Zweigen war ein Jubilieren, und kaum, daß mein Frühstück erschien, so hüpften auch schon die Spatzen auf meinem Tisch umher. Es war so reizend, daß ich selbst das Journallesen vergaß, womit ich damals meine Zeit nur allzugern vertrödelte. Doch nein, nicht vertrödelte. Die Journale paßten ganz genau zu mir, waren mir um einen Schritt voraus, und von einer derartigen Lektüre hat man viel viel mehr als von solcher, die einem über den Kopf geht. Es ist ein Unsinn, jungen Leuten immer mit dem »Besten« zu kommen. Man hat sich in das Beste hineinzuwachsen, und das dauert oft recht lange. Schadet auch nichts. Vor allem ist es ganz unnatürlich, mit Goethe zu beginnen. Ich bin glücklich, mit Freiligrath begonnen zu haben.
    Um acht oder halb neun war ich dann wieder zurück und an meinem Platz. In der ersten Stunde gab es noch wenig zu tun. Aber bald danach kamen die Doktoren und verschrieben ihre Rezepte. Freilich gab es auch solche, die wenig Praxis hatten und die sich nur einfanden, um sich an einem großen Lesepulte, das für sie hergerichtet war, in die verschiedenen Leipziger Zeitungen zu vertiefen. Für sie war die Apotheke bloß Lesehalle, Doktorbörse, Klublokal. Unter den Ärzten, die zu dieser Gruppe gehörten, interessierten mich besonders zwei, ein Dr. Reuter und ein Dr. Adler. Reuter, ein sehr hübscher, eleganter Herr, war ausgesprochener Sachse, liebte mich aber, weil ich ihm Tag für Tag Gelegenheit gab, seinen starken Preußen-Antagonismus in übrigens nie verletzender Weise gegen mich auszulassen. Er erkundigte sich regelmäßig bei mir nach den Schicksalen der »jroßen Nation« oder fragte mich, »ob es wahr sei, daß Kaiser Nikolaus wieder auf einer Inspektionsreise sei, um nachzusehen, ob sein ›Unterknäs Friedrich Wilhelm IV.‹ mittlerweile keine Dummheiten gemacht habe«.
    Viel interessanter war Dr. Adler, überhaupt das Prachtstück unter denen, die die Doktorbörse besuchten. Er galt auch bei den eigenen Kollegen, was immer was sagen will, als der Klügste, vielleicht sogar als Arzt, sicherlich aber als Mensch. Nebenher stand er leider in den Anfängen des Delirium tremens. Natürlich war er auch Dichter – sogar ein sehr guter –, was meine nähere Bekanntschaft mit ihm herbeiführte. Er hatte damals Thomas Moores »Paradies und Peri« übersetzt und trug mir spät abends, wo wenig zu tun und ein Unterbrochenwerden von seiten des Publikums fast ausgeschlossen war, die ganze Dichtung vor. Er ging dabei, seine von Trunk und Begeisterung seltsam verglasten Augen nach oben gerichtet, beständig auf und ab, hingerissen vom Wohlklang der Strophen, und nur ich war womöglich noch hingerissener als er selbst. All dies führte bald dazu, daß ich ihn eines Tages bat, ihm einige meiner Arbeiten

Weitere Kostenlose Bücher