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Von Zwanzig bis Dreißig

Von Zwanzig bis Dreißig

Titel: Von Zwanzig bis Dreißig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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Zwischenflur passiert hatte, weit nach hinten zu fortsetzte. Was in diesem letzten Ausläufer des Seitenflügels alles zu Hause war, war mehr interessant als schön. Da hauste zunächst Alma. Alma war eine kleine, sehr wohlgenährte Person mit roten Backen und großen, schwarzen Augen, die mit seltner Stupidität in die Welt blickten. Ihre Hauptschönheit und zugleich auch das Zeichen ihres Berufes war eine mit minuziöser Sorgfalt gepflegte Sechse, die sie, glatt angeklebt, zwischen Ohr und Schläfe trug. Als mein Vater mich einmal in dieser meiner Wohnung besuchte, war er auch dieser Alma begegnet. »Ihr habt ja da merkwürdige Besatzung auf eurem Flur«, sagte er in seiner herkömmlichen Bonhomie. »Das ist ja eine puella publica.« Ich hatte diesen Ausdruck noch nicht gehört, fand mich aber schnell zurecht und bestätigte alles.
    Alma hatte Zimmer und Küche. Dahinter kam eine zweite Wohnung, ebenso primitiv, in der, wenn ich den Namen richtig behalten habe, ein Graf Brodczinski mit seinem Sohne wohnte. Der alte Graf – der übrigens vielleicht bloß Edelmann und nur durch das Sensationsbedürfnis Almas und ähnlicher Hausinsassen auf eine höhere Rangstufe gehoben war – war wahrscheinlich Militär gewesen, wenigstens sprach seine Haltung dafür. Es war ein auffallend schöner alter Herr, der in seinem Bettlermantel mich immer an Almagro, der damals, ich war nicht wählerisch, mit unter meinen Lieblingshelden war, erinnerte. Besagter Almagro war eine Zeitlang so arm, daß er mit seinem Offizierkorps zusammen nur
einen
Mantel hatte, weshalb immer nur einer von ihnen sich vor der Welt sehen lassen konnte. Trotzdem hing ich an ihm, dem richtigen alten Almagro, ja, seine Bettlerschaft steigerte für mich seinen Konquistadorenreiz. Ähnlich erging es mir mit dem alten Brodczinski, betreffs dessen mir feststand, daß er, eh er arm wurde, bei Grochow und Ostrolenka Wunder der Tapferkeit verrichtet haben müsse. Brodczinski, den ich mit allem möglichen Romantischen umkleidete, war übrigens auch Samariter, wobei der Umstand, daß seine Samariterdienste nur seinem Sohne galten, mich nicht störte. Dieser Sohn, ein schöner Mann wie der Vater, war ein Sterbender, in den letzten Stadien der Schwindsucht. Und doch mußte sein Leben, wenn möglich mit allen Mitteln, erhalten werden, denn an seiner Existenz hing auch die des Vaters. Er, der junge Graf, hatte, solange er noch körperlich und geistig bei Kräften war, eine doppelte Einnahmequelle gehabt, als Dichter und als Liebhaber, ein Fall, der öfter vorkommt, wenn Dichter und Liebhaber demselben Gegenstande dienen. Bei dem jungen Grafen aber war alles in einer scharfen Zweiteilung aufgetreten. Seine Liebe hatte sich einer reichen Witwe, seine Dichtung dagegen einer Anzahl älterer Prinzessinnen zugewandt, die, solange es irgendwie ging, mit Loyalitätssonetten überschwemmt worden waren. Es muß dabei übrigens gesagt werden, daß sich alle bei der Sache Beteiligten, also zunächst die Witwe, dann aber auch die Prinzessinen, in einer gewissen schönen Menschlichkeit bewährten und ihren armen Grafen nicht fallenließen, als längst weder von Liebe noch von loyalen Huldigungen die Rede sein konnte. Verhältnismäßig häufig – und alle Hausbewohner liefen dann zusammen – erschienen königliche Lakaien, um einen Brief samt Geldgeschenk abzugeben, noch viel häufiger aber fuhr die reiche Witwe vor und ließ durch ihren Diener allerlei Speisen und Weine bei dem armen Kranken abgeben. Alles war dann gerührt, am meisten Alma.
    Wirklich, an Guttat und Pflege gebrach es nicht. Es war aber umsonst, und eines Tages hieß es, der junge Graf sei gestorben. Dem war auch so, und alles, was sich auf Hof und Flur traf, erörterte die Frage, ob wohl eine königliche Kutsche folgen würde. Die Mehrzahl war dafür. Aber es kam alles ganz anders und nach meinem Gefühl viel interessanter. Der alte Graf, der, seiner Heldenschaft unbeschadet, viel von einem Komödianten hatte, konnte sich im Feierlichen nicht genug tun und beschloß, seinen Toten öffentlich auszustellen, was die Polizei sonderbarerweise zuließ oder vielleicht auch erst zu spät erfuhr. Jedenfalls fand ich, als ich am zweiten Tage mittags aus der Schule kam, den jungen Grafen auf unsrem Hausflur parademäßig aufgebahrt. Auf zwei wackligen alten Kisten stand der offene Sarg, und jeder, der das Haus betrat, mußte hart an dem Toten vorüber. Ich erschrak nicht wenig und verzichtete den ganzen Tag über auf jede

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