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Von Zwanzig bis Dreißig

Von Zwanzig bis Dreißig

Titel: Von Zwanzig bis Dreißig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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wie aus der Schachtel genommenes Fabrikspielzeug wirken, einen großen Reiz verlieh. Alles prägte sich ein, und je sonderbarer es war, desto mehr.
    An solchen Sonderbarkeiten war nun in unsrer Wohnung ein wahrer Überfluß. Nach vorn heraus lagen zwei reizende Räume, sowie man diese Frontzimmer aber verließ, begannen die Kuriosa. Zwischen Front und Küche war ein Alkoven eingeklemmt, dem zwei portalartige Glastüren einen Lichtschimmer zuführten. Alles in einem verflachten Rokoko gehalten. Dies nahm sich sonderbar genug aus. Was aber dem Alkoven seinen eigentlichen Reiz lieh, hatte mit Architektur nichts zu schaffen. Die Hauptsache war an dieser Stelle die Bewohnerin Charlotte, Köchin und »Mädchen für alles«. Charlotte war eine zwerghafte Person mit Doppelbuckel und klugem, strengem Gesicht, welchem strengen Ausdruck es wohl auch zuzuschreiben war, daß sie trotz des vollkommensten Anspruchs auf eine Diminutivbezeichnung immer bei ihrem vollen Namen Charlotte genannt wurde. Nie Lottchen oder Lotte. Sie war, wie so oft Verwachsene, durch und durch Charakter, was Onkel August in einem schweren Momente seines Lebens, den ich weiterhin zu beschreiben habe, bitter erfahren sollte.
    Aus Charlottens Alkoven trat man in die Küche, von der aus eine etwa zehn Stufen zählende Treppe zu einem mir als Wohn- und Schlafzimmer angewiesenen Raume hinunterführte. Meine Lebensgänge, wie hier gleich vorweg bemerkt werden mag, sind nicht derart gewesen, um mich nach dieser Seite hin irgendwie zu verwöhnen, und wenn das Unglück – nach Shakespeare – sonderbare Schlafgesellen gibt, so kann ich vielleicht mit gleichem Rechte sagen, daß bescheidene Lebensverhältnisse sonderbare Schlafzimmer geben. Aber nicht leicht ein sonderbareres als das hier in Rede stehende. Wenn ich nicht irre, heißt es von Mohammeds Sarge, daß er durch vier Magnete, die von allen Seiten her auf ihn einwirken, in der Schwebe gehalten werde. Fast ebenso rätselhaft schwebte mein Schlafzimmer in unserm Treppenhause. Welche Konstruktionen es überhaupt hielten, weiß ich nicht recht. Halb war es wohl in festes Mauerwerk eingebaut, halb aber, so nehm' ich an, wurd' es lediglich durch Pfeiler und Eisenarme gehalten. Zwei Seiten, wodurch eine Art Laterne hergestellt wurde, waren Glaswände. Hier, in diesem sonderbaren Zimmer, hab' ich anderthalb Jahre lang meine Nächte zugebracht, mitunter, wenn auf lang oder kurz ein Logierbesuch kam, auch in Gesellschaft.
    Dieser Logierbesuch bestand in der Regel aus Verwandten.
    Einer war der Bruder meiner Tante, der, von Jugend auf zum Schauspieler gedrillt, auch Schauspieler geblieben war. Leider nicht zu seinem Heil. Ganz kurze Zeit, nachdem er das in Lüften schwebende Zimmer mit mir bewohnt hatte, hörte ich von seinem tragischen Ausgang. Er hatte sich irgendwo zum Gastspiel gemeldet und war in dem Lokalblatt der kleinen Stadt ridikülisiert worden. Er mochte sein Leben ohnehin satt haben. Diese Kritik gab den Ausschlag, und er erschoß sich.
    Ein andrer, der mein Zimmer vorübergehend mit mir teilte, kam im Gegensatz zu diesem Unglücklichen zu hohen Jahren. Es war auch ein Verwandter, aber nicht von der Tante, sondern von des Onkels Seite her. Sein eigentümlicher Lebensgang hat ihn vielen Tausenden bekannt gemacht. Es war dies der Maler
Heinrich Gaetke.
Mit etwa 18 Jahren war er aus seiner Priegnitzer Heimat nach Berlin gekommen und in das Geschäft meines Onkels eingetreten. Er sollte Kaufmann werden. Aber im Verkehr mit den Malern kam ihm, der talentiert für alles war, alsbald die Lust, auch Maler zu werden. Er wurde Schüler von Blechen – wenigstens lebte was von diesem in seinen Landschaften –, und um diese Zeit sah ich ihn häufiger auf Besuch in meines Onkels Hause. Bald danach ging er nach Helgoland, um, wie vorher Landschaften, so jetzt Seestücke zu malen. Kein Zweifel, daß auch das ihm glückte. Zugleich aber wandte sich sein Sinn einer jungen Helgoländerin zu, was er persönlich nicht sonderlich ernsthaft, die Helgoländer dagegen desto ernsthafter nahmen. Er sah sich denn auch, als er die Insel verlassen wollte, zurückgehalten, und kurze Zeit darauf wurde die junge Helgoländerin seine Frau. Darüber sind jetzt nahezu 60 Jahre vergangen. Anfangs blieb er noch in seiner Kunst; bald aber erwies sich die ihn umgebende große Natur mächtiger als alle Kunst, und er wurde ganz Helgoländer, zu seinem und der Insel Segen. In allen möglichen Ehrenämtern war er alsbald tätig und erfreute sich

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