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Von Zwanzig bis Dreißig

Von Zwanzig bis Dreißig

Titel: Von Zwanzig bis Dreißig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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jeder denkbaren Auszeichnung, nicht zum wenigsten auch auf wissenschaftlichem Gebiet. Denn unter den vielen Wandlungen, die er durchzumachen hatte, war auch die, daß er sich zuletzt der Vogelkunde zuwandte. Sein scharfes Auge hatte bald erkannt, daß es dafür keinen besseren Platz gäbe als Helgoland, dieser Rastplatz der von Nord nach Süd und wieder umgekehrt ziehenden Vogelschwärme. So wurde der Maler von ehedem ein Ornitholog und der Schöpfer einer innerhalb eines bestimmten Zweiges vielleicht einzig dastehenden Sammlung. Er genoß bis zu seinem vor kurzem erfolgten Hinscheiden als Ornitholog eines großen Rufes und hat ein vorzügliches Buch herausgegeben, das den Titel führt: »Auf der Vogelwarte«. Sein Leben, das etwas von dem eines Inselkönigs hatte, ist ein Roman, und ausgezeichnete Schriftsteller haben Einzelheiten daraus auch verherrlicht.
    Das waren so die gelegentlichen Besucher und Insassen der sonderbaren Laterne, darin ich wohnte. Was im übrigen nach vorne hinaus lag, war, wie schon angedeutet, von sehr entgegengesetzter Art. Es entbehrte der aparten Züge, war aber dafür sehr reizend. Das unter Umständen als Repräsentationsraum dienende größere Zimmer wurde wenig benutzt und kam eigentlich nur als eine Art Belvedere für uns in Betracht. An Sommerabenden lagen wir hier im Fenster und sahen die Spree hinauf und hinunter. Es war mitunter ganz feenhaft, und wer dann von der »Prosa Berlins«, von seiner Trivialität und Häßlichkeit hätte sprechen wollen, der hätt' einem leid tun können. In dem leisen Abendnebel stieg nach links hin das Bild des Großen Kurfürsten auf und dahinter das Schleusenwerk des Mühlendamms, gegenüber aber lag das Schloß mit seinem »Grünen Hut« und seinen hier noch vorhandenen gotischen Giebeln, während in der Spree selbst sich zahllose Lichter spiegelten.
    So war es in dem großen Gesellschaftszimmer. Aber viel reizender, weil anheimelnder, war das kleine Wohnzimmer daneben, drin sich unser Leben eigentlich abspielte. Die Fensterwand war so tief, daß sie fast eine Nische bildete, drin kleine Landschaften von Bönisch hingen, überhaupt Bilder und Skizzen, die befreundete Maler der jungen Frau zum Geschenk gemacht hatten. In ebendieser Nische saß sie auch selber an ihrem Nähtisch, den Kopf, wie eine Neapolitanerin, immer in ein mit goldnen Nadeln umstecktes Spitzentuch gehüllt. Am entgegengesetzten Ende des Zimmers aber stand das Klavier, und hier, in den vielen Freistunden, die mein Onkel sich gönnte, saß er tagaus, tagein und sang seine Figaro-Arien zum hundertsten Male, dann und wann eine Kußhand werfend oder sich unterbrechend, um einen reizenden Pudel – der natürlich auch Figaro hieß – durch den gekrümmten Arm springen zu lassen.
    Ich hockte auf einem kleinen Stuhl zwischen Ofen und Sofa, sah nach dem Spitzentuch mit den goldnen Nadeln und nach »Figaro«, der eben wieder durchsprang, und glaubte an die beste der Welten.
     
    Anderthalb Jahre ging es mir in meiner Onkel-August-Pension durchaus gut, zu gut, denn ich lebte da ganz nach meinem Belieben. Als aber Ostern fünfunddreißig heran war, verließen wir – und nun wurde manches anders – die reizende kleine Wohnung und übersiedelten, während das Geschäft noch eine Zeitlang in der Burgstraße verblieb, nach einem in der Großen Hamburger Straße gelegenen Neubau. Dieser Neubau war ein Doppelhaus, dessen gemeinschaftlicher Hof durch eine traurig aussehende niedrige Mauer in zwei Längshälften geteilt wurde. Trotzdem alles ganz neu war, war alles auch schon wieder wie halb verfallen, häßlich und gemein, und wie der Bau, so war auch – ein paar Ausnahmen abgerechnet – die gesamte Bewohnerschaft dieser elenden Mietskaserne. Lauter gescheiterte Leute hatten hier, als Trockenwohner, ein billiges Unterkommen gefunden: arme Künstler, noch ärmere Schriftsteller und bankrutte Kaufleute, namentlich aber Bürgermeister und Justizkommissarien aus kleinen Städten, die sich zur Kassenfrage freier als statthaft gestellt hatten. Eine Gesamtgesellschaft, in die, was mir damals glücklicherweise noch ein Geheimnis war, mein entzückender Onkel August – er war wirklich entzückend – durchaus hineingehörte. Wir wohnten Parterre. Das von mir bezogene Zimmer, das so feucht war, daß das Wasser in langen Rinnen die Wände hinunterlief, lag schon in einem uns von dem alten Judenkirchhof abtrennenden Seitenflügel, welch letzterer sich, nachdem man einen kleinen, sich einschiebenden

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