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Von Zwanzig bis Dreißig

Von Zwanzig bis Dreißig

Titel: Von Zwanzig bis Dreißig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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litt ernstlich unter meiner sehr prekären Geldlage. Was ich von Geld hatte, hatte ich in meinen zwei Hosentaschen untergebracht, rechts einen Taler und einige kleinere Silberstücke, links einen in ein Stückchen Papier gewickelten Doppellouisdor. Woher dieser eigentlich stammte, weiß ich nicht mehr. Es war einer von jenen Halbkupferfarbnen, wie sie damals, etwas minderwertig, in einigen Kleinstaaten geprägt wurden, und ich sehe noch ganz deutlich das großgenaste Profil von Serenissimus vor mir, wiewohl ich nicht mehr angeben kann, welchem deutschen Landesteile, vielleicht seitdem schon verschwunden, er angehörte. Dieser feuerrötliche Doppellouisdor brannte mich ordentlich, und ich schämte mich seiner, weil ich ihn nicht für voll, ja beinah für falsch ansah. Aber, wie gleich hier bemerkt sein mag, alles sehr mit Unrecht; er war vielmehr umgekehrt dazu bestimmt, mir in einem schweren Momente, wenn nicht geradezu Rettung – die Benötigung dazu trat Gott sei Dank nicht ein –, so doch in meinem Gefühl eine große moralische Stütze zu gewähren.
    Ohne Zwischenfälle machten wir die Fahrt; schon am anderen Morgen wurde die englische Küste sichtbar, ich glaube Yarmouth, und um vier Uhr nachmittags, nachdem wir ein paar Stunden vorher Sheerneß passiert hatten, warfen wir Anker in Nähe der Londonbrücke. Boote kamen heran, und alles drängte der Falltreppe zu, um sich, gleich unter den ersten, einen Platz zu sichern. Unter diesen sich Vordrängenden war auch mein Freund Scherz. Ich, von Jugend an ein abgeschworener Feind aller Ellbogenmanöver, hielt mich, wie stets so auch hier, wieder zurück und war unter denen, die das letzte Boot bestiegen. Am Ufer sahen wir uns von einigen, sehr wahrscheinlich an dem ganzen Reiseversuchsunternehmen geschäftlich beteiligten Herren freundlich empfangen und in ein benachbartes großes Hotel geleitet. Dies Hotel hieß das »Adelaïde-Hotel« und ragte an einer freien Stelle, dicht neben der Londonbrücke, auf. Drei oder vier Treppen hoch sahen wir uns in einer Anzahl kleiner Zimmer untergebracht. Alles gefiel mir, und nur das
eine
gefiel mir nicht, daß mein Freund Scherz, samt der ganzen Besatzung des ersten Bootes, nicht aufzufinden war. »Sie werden wohl in einem anderen Hotel Wohnung genommen haben«, so hieß es, und niemand machte was davon. Es war auch durchaus gleichgültig für alle, nur für
mich
nicht. Wenn ich ihn nicht fand, so war ich zehn, zwölf Tage lang auf meinen roten Doppellouisdor gestellt. Ich hatte jedoch nicht Zeit, mich meinen Besorgnissen darüber hinzugeben, denn kaum daß wir uns an den englischen Waschtischen, mit ihrem Wedgwoodgeschirr in Riesenformat, ajustiert hatten, so hieß es auch schon: »Nun aber nach Greenwich, meine Herren; heute nämlich ist ›Greenwich-Fair‹ und Sie können englisches Volksleben nicht besser kennenlernen als bei solchem Meß- und Jahrmarktstreiben.« Und ehe zehn Minuten um waren, waren wir auch schon auf dem Wege. Der Herr, der uns von »Greenwich-Fair« etwas englisch Eigenartiges versprochen hatte, hatte nicht zuviel gesagt. Kaum daß wir in die Jahrmarktsgasse mit ihren Spiel- und Schaubuden eingetreten waren, so waren wir auch schon inmitten eines Treibens, das, wenn man vergleichen will, halb an Schützenplatz und halb an rheinischen Karneval erinnerte. Man hatte sofort die Fremden in uns erkannt, und Männer und Frauen, die letzteren vorauf, machten uns zum Gegenstand ihrer Neckereien. Die Mädchen hatten sogenannte brushes in Händen, also wörtlich übersetzt »Bürsten«, die aber, ihrer Konstruktion nach, unseren Knarren gleichkamen und den entsprechenden schrillen Ton gaben, wenn man mit ihnen über Arm oder Rücken eines Vorübergehenden hinfuhr. Einige von uns ärgerten sich darüber, was mich wiederum ärgerte, weil es mir unendlich kümmerlich und kleinstädtisch vorkam, solchem reizend ausgelassenen Treiben gegenüber den sächsisch-preußischen Philister spielen zu wollen.
    Erst zu später Stunde waren wir wieder in London zurück und trafen uns am andern Morgen beim Frühstück. Alle waren guter Dinge. Nur meine Stimmung war ein wenig belegt, denn von Freund Scherz und den übrigen Insassen des ersten Bootes war noch immer keine Nachricht da. Das mit den »übrigen Insassen« hatte für mich wenig Bedeutung, aber der fehlende Freund desto mehr, er, meine Rücklehne, die Säule, mit der ich stand und fiel! Die ganze Sorge vom Tage vorher war wieder da, nur noch gesteigert, und ich beschloß

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