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Von Zwanzig bis Dreißig

Von Zwanzig bis Dreißig

Titel: Von Zwanzig bis Dreißig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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hier nahm Storm einen etwas abweichenden Standpunkt ein und sah mit überlegenem Lächeln auf Pedantismus und preußischen Drill hernieder. Er war eben für Individualität und Freiheit, beides »ungedeelt«. Eines Abends saßen wir munter zu Tisch, und die Bowle, die den Schluß machen sollte, war eben aufgetragen, als ich mit einem Male wahrnahm, daß sich unser Freund Merckel nicht nur verfärbte, sondern auch ziemlich erregt unter dem Tisch recherchierte. Richtig, da hockte noch der Übeltäter: einer der kleineren Stormschen Söhne, der sich heimlich unter das Tischtuch verkrochen und hier unseren kleinen Kammergerichtsrat, vor dem wir alle einen heillosen Respekt hatten, in die Wade gebissen hatte. Storm mißbilligte diesen Akt, hielt seine Mißbilligung aber doch in ganz eigentümlich gemäßigten Grenzen, was dann, auf der Rückfahrt, einen unerschöpflichen Stoff für unsere Coupéunterhaltung abgab. Schließlich, so viel ist gewiß, werden die Menschen
das,
was sie werden sollen, und so darf man an derlei Dinge nicht allzu ernste Betrachtungen knüpfen; aber das hab' ich doch immer wieder und wieder gefunden, daß Lyriker, und ganz besonders Romantiker, durch erzieherische Gaben nur sehr ausnahmsweise glänzen.
     
    Drei Jahre, bis Herbst 56, blieb Storm in Potsdam; dann ward er nach Heiligenstadt im Eichsfelde versetzt. »Hier in diesem mehr abseits gelegenen, von Waldbergen umkränzten thüringischen Städtchen, gewissermaßen einem Pendant zu seinem schleswigschen Husum, gestaltete sich ihm das Leben wieder innerlicher, traulicher, befriedigender.« So heißt es in Paul Schützes schon eingangs zitiertem Buche. Desgleichen hat L. Pietsch im zweiten Teile seiner »Lebenserinnerungen« sehr anziehend über diese Heiligenstädter Tage berichtet. Ein Kreis froher teilnehmender Menschen sammelte sich hier um Storm, unter ihnen in erster Reihe Landrat von Wussow und Staatsanwalt Delius.
    Fast alljährlich unternahm Storm von Heiligenstadt aus Reisen in die Heimat, entweder nach Husum, wo ihm noch die Eltern lebten, oder nach Segeberg, dem Geburtsort seiner Frau. Mehrmals war er auch in Berlin, aber nur eines dieser Besuche – fast um dieselbe Zeit, wo Storm nach Heiligenstadt ging, ging ich nach London – erinnere ich mich. Das war bald nach meiner Rückkehr aus England, also wahrscheinlich im Jahr 62. Alles, als er eintraf, freute sich, ihn wiederzusehen, aber dies »Alles« hatte sich, wenigstens soweit unser Kreis in Betracht kam, seit jenem Winter 52, wo wir miteinander bekannt wurden, sehr verändert. Kugler und Merckel waren tot, »Frau Clara« und Heyse nach München übersiedelt, Roquette in Dresden; so fand er nur noch Zöllner, Eggers und mich. Er blieb denn auch nicht lange. Mit Zöllner und Eggers, die ganz vorzüglich zu ihm paßten, war er sehr intim, während sich ein gleich herzliches Verhältnis, trotz beiderseitig besten Willens, zwischen ihm und mir nicht herstellen lassen wollte. Wir waren zu verschieden. Er war für den Husumer Deich,
ich
war für die Londonbrücke; sein Ideal war die schleswigsche Heide mit den roten Erikabüscheln, mein Ideal war die Heide von Culloden mit den Gräbern der Camerons und Mac Intosh. Er steckte mir zu tief in Literatur, Kunst und Gesang, und was ein Spötter mal von dem Kuglerschen Hause gesagt hatte, »man beurteile da die Menschen lediglich im Hinblick darauf, ob sie schon einen Band Gedichte herausgegeben hätten oder nicht« –, dieser Satz paßte sehr gut auch auf Storm. Aber was unserer Intimität, und zwar viel, viel mehr als das verschiedene
Maß
unseres Interesses an künstlerischen Dingen im Wege stand, das war
das,
daß wir auch den Dingen des alltäglichen Lebens gegenüber gar so sehr verschieden empfanden. Um's kurz zu machen, er hielt mich und meine Betrachtung der Dinge für »frivol«. Und das ärgerte mich ein bißchen, trotzdem es mir zugleich eine beständige Quelle der Erheiterung war. Man wolle mich hier nicht mißverstehen. Ich habe nichts dagegen, auch jetzt noch nicht, für frivol gehalten zu werden. Meinetwegen. Aber ich sehe mir die Leute, die mit solchem Urteil um sich werfen, einigermaßen ernsthaft an. Wenn Kleist-Retzow oder noch besser der von mir hochverehrte Pastor Müllensiefen, der mir immer als das Ideal eines evangelischen Geistlichen erschienen ist – wenn mir der jemals gesagt hätte: »Lieber F., Sie sind frivol«, so hätt' ich mir das gesagt sein lassen, wenn auch ohne die geringste Lust, mich irgendwie zu

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