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Von Zwanzig bis Dreißig

Von Zwanzig bis Dreißig

Titel: Von Zwanzig bis Dreißig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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war eine Art Neben-Tunnel, eine Art Extrakt der Sache. Storm war ein sehr liebenswürdiger Wirt, sehr gastlich, und seine Frau, die schöne »Frau Constanze«, fast noch mehr. Wir blieben Nachmittag und Abend und fuhren erst spät zurück. Je kleiner der Kreis war, je netter war es; er sprach dann, was er in größerer Gesellschaft vermied, über dichterisches Schaffen überhaupt und speziell auch über sein eigenes. Ich habe, bei Behandlung solcher Themata, keinen anderen so Wahres und so Tiefes sagen hören. In neuester Zeit sind Tagebücher der Gebrüder Goncourt erschienen, die sich auch über derlei Dinge verbreiten und mich mehr als einmal ausrufen ließen: »Ja, wenn wir doch die gleiche, jedes Wort zur Rechenschaft ziehende Gewissenhaftigkeit hätten.« In der Tat, wir haben nur ganz wenige Schriftsteller, die wie die Goncourts verfahren, und unter diesen wenigen steht Storm obenan. Er ließ das zunächst schnell Geschriebene wochenlang ruhen, und nun erst begann – zumeist auf Spaziergängen auf seinem Husumer Deich – das Verbessern, Feilen und Glätten, auch wohl, wie Lindau einmal sehr witzig gesagt hat, das »Wiederdrübergehen mit der Raspel«, um dadurch die beim Feilen entstandene zu große Glätte wieder kräftig und natürlich zu machen.
    Unter seinen kleinen Gedichten sind viele, daran er ein halbes Jahr und länger gearbeitet hat. Deshalb erfüllen sie denn auch den Kenner mit so hoher Befriedigung. Er hat viel Freunde gefunden, aber zu
voller
Würdigung ist er doch immer noch nicht gelangt. Denn seine höchste Vorzüglichkeit ruht nicht in seinen vergleichsweise viel gelesenen und bewunderten Novellen, sondern in seiner Lyrik.
    Noch einmal, diese Reunions in unseres Storms Potsdamer Hause waren sehr angenehm, lehrreich und fördernd, weit über das hinaus, was man sonst wohl bei solchen Gelegenheiten einheimst; aber sie litten doch auch an jenen kleinen Sonderbarkeiten, die nun einmal alles Stormsche begleiteten und ein Resultat seines weltfremden Lebens und eines gewissen Jean Paulismus waren. Es wird von Jean Paul erzählt, daß er sich, einmal auf Besuch in Berlin, in einer größeren Gesellschaft ins »Kartoffelschälen auf Vorrat« vertieft habe, was dann schließlich bei dem inzwischen vorgerückten Souper zu einer Art Verzweiflungskampf zwischen ihm und dem die Teller rasch wechseln wollenden Diener geführt hätte. Ganz dasselbe hätte Storm passieren können oder wenn nicht dasselbe, so doch sehr Ähnliches. Ich habe manches der Art mit ihm erlebt. Er hatte, wie so viele lyrische Poeten, eine Neigung, alles aufs Idyll zu stellen und sich statt mit der Frage: »Tut man das?« oder: »Ist das convenable?« nur mit der Frage zu beschäftigen: »Entspricht das Vossens ›Luise‹ oder dem redlichen Tamm oder irgendeiner Szene aus Mörikes ›Maler Nolten‹ oder aus Arnims ›Kronenwächtern‹?« Ja, ich fürchte, daß er noch einen Schritt weiterging und seine Lebensvorbilder in seinen eigenen, vielfach auf Tradition sich stützenden Schöpfungen suchte. Man kann dies nun sicherlich reizend finden, auch ich kann es, aber trotzdem bin ich der Ansicht, daß diesem Verfahren ein Hauptirrtum zugrunde liegt. Es soll sich die Dichtung nach dem Leben richten, an das Leben sich anschließen, aber umgekehrt eine der Zeit nach weit zurückliegende Dichtung als Norm für modernes Leben zu nehmen, erscheint mir durchaus falsch. In Storms Potsdamer Hause ging es her wie in dem öfters von ihm beschriebenen Hause seiner Husumer Großmutter, und was das Schlimmste war, er war sehr stolz darauf und sah in dem, was er einem als Bild und Szene gab, etwas ein für allemal »poetisch Abgestempeltes«. Das Lämpchen, der Teekessel, dessen Deckel klapperte, die holländische Teekanne daneben, das alles waren Dinge, darauf nicht bloß sein Blick andächtig ruhte – das hätte man ihm gönnen können –, nein, es waren auch Dinge, die gleiche Würdigung von denen erwarteten, die, weil anders geartet, nicht viel davon machen konnten und durch das
Absichtliche
darin ein wenig verstimmt wurden. Wie mir einmal ein Hamburger erzählte: »Ja, da war ja nun letzten Sommer Ihr Kronprinz bei uns, und da wird er wohl mal gesehen haben, was ein richtiges Mittagessen ist« – so glaubte Storm ganz ernsthaft, daß eine wirkliche Tasse Tee nur aus seiner Husumer Kanne kommen könne. Die Provinzialsimpelei steigert sich mitunter bis zum Großartigen.
    In einem gewissen Zusammenhange damit stand die Kindererziehung. Auch

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